Le-Mans-Oberhaus: Ende der Ingolstädter Dominanz?

55

Endet an diesem Wochenende die Audi-Dominanz in Le Mans? Rekordsieger Porsche fordert den Branchenprimus nach Jahren der Absenz zum Prestigeduell, betrachtet die Rückkehr aber als Lernjahr. Toyota kokettiert hingegen offiziell mit der Favoritenrolle bei der Machtprobe an der Sarthe.

Seit dem Millenniumwechsel beansprucht Audi eine Vormachtstellung in Le Mans. Nach dem Erstauftritt in der Saison 1999 reklamierte die Marke mit den vier Ringen insgesamt zwölfmal die französische Krone des Motorsports für sich. Einzig Bentley und Peugeot unterbrachen die Erfolgsserie des Branchenprimus. Doch die Führungsrolle des Triumphators aus Ingolstadt gerät dieses Jahr womöglich ins Wanken.

Denn Rekordsieger Porsche fordert die VW-Konzernschwester an diesem Wochenende zum Prestigeduell. Derweil avancierte Toyota angesichts seiner Resultate in der Langstrecken-WM selbstbewusst zum eigentlichen Favoriten. Endet also die Dominanz im Département Sarthe? „Wohl noch nie hat Audi in Le Mans vor einer so schwierigen Aufgabe gestanden wie in diesem Jahr“, räumt Professor Doktor Ulrich Hackenberg ein, welcher dem Audi-Entwicklungsvorstand angehört.

Obendrein markiert die diesjährige Saison bekanntermaßen eine Zäsur im Langstreckensport. Mit einem progressiven Reglement lenkt der ACO die Entwicklung dahingehend, die Sportwagen für das Kräftemessen an der Sarthe energieeffizienter zu gestalten. Obwohl Audi in der Vergangenheit zumeist eine Vorreiterrolle bezog, entschied sich der bayrische Konstrukteur im Wettbewerb der Innovationen allerdings für eine konservativen Herangehensweise.

Im Unterschied zu Porsche und Toyota hat Audi die niedriges Hybridklasse mit zwei Megajoule Rekuperationsenergie gewählt. Der Vorteil: Der Ansatz des bisherigen Klassenprimus minimiert das Risiko technischer Komplikationen, die angesichts des komplexen Systems fraglos eine ernstliche Rolle in den Erwägungen der Techniker spielen. Der Nachteil: Das Regelwerk begünstigt jene Konzepte, welche den Fokus auf die Energierückgewinnung richten.

Wolfgang Ullrich: „Erst im Rennen erkennen wir das wahre Bild“

Zeitigt diese risikoarme Strategie von Joest Racing nichtsdestoweniger Erfolg? „Es gab schon Jahre in Le Mans, in denen wir erfolgreich waren, auch wenn unser Auto nicht das schnellste war“, merkt Motorsportchef Doktor Wolfgang Ullrich an, dessen Equipe während der letzten Jahr ein Gespür für die Gegebenheiten in Le Mans bewiesen hat. „Erst im Rennen erkennen wir das wahre Bild. Wir wollen perfekt sein und mit Speed und Zuverlässigkeit um den Sieg kämpfen.“ 

Zudem verschaffte der traditionelle Testtag auf dem Circuit de la Sarthe nur bedingt Aufschluss über die Hierarchie des Herstellertrios. Stattdessen drängten sich andere Fragen auf. Bis dato wies der R18-Prototyp Defizite in puncto Höchstgeschwindigkeit auf, erreichte dank seiner Le-Mans-Spezifikation auf der Hunaudières-Geraden jedoch ein ähnliches Tempo wie die Konkurrenz. Die Reichweite mit einer Tankfüllung betrug indes bei allen Wettstreitern dreizehn Runden. Doch entspricht dies den Werten im Rennen?

Audi kehrt überdies einen weiteren Aspekt hervor. „Unser Ziel ist es, den Fahrern ein Auto zu geben, mit dem sie drei oder vier Stunden am Stück möglichst nahe am Limit fahren können, ohne zu ermüden“, erläutert Teamdirektor Ralf Jüttner. „Dieser Aspekt entscheidet das Rennen. Also müssen wir im Team eine gute Abstimmung erarbeiten. Wir waren bereits früher in vergleichbaren Situationen, und uns ist schon damals der Null-Fehler-Job geglückt.“

Alexander Hitzinger: „Wir haben die mutigste Lösung gewählt“

Unterdessen verhehlt Porsche seine Anwartschaft auf den Le-Mans-Thron keineswegs, betrachtet die Rückkehr nach Le Mans hingegen als Lernjahr. „Porsche steht vor dem größten Moment des LMP1-Projekts – dem ersten Start in der Topkategorie in Le Mans seit sechzehn Jahren. Wie auch immer das ausgeht: Auf dem Weg dorthin haben wir eine Menge Etappenziele erreicht“, bemüht sich LMP1-Leiter Fritz Enzinger, die Erwartung einzuhegen. 

Auch Alexander Hitzinger, der als Technischer Direktor fungiert, formuliert keine Maßgabe für die Rückkunft an die Sarthe. „Wir konnten auch in Bereichen, in denen die Konkurrenz Routine hat, auf keinerlei Erfahrung zugreifen“, betont Hitzinger. „Dennoch haben wir beim Antriebskonzept die mutigste Lösung gewählt, weil sie das größte Zukunftspotenzial hat. Der Porsche 919 Hybrid ist unser erster Wurf. Er ist schnell – aber noch lange nicht in allen Potenzialen ausgereift, das ist Realität.“

Mindert Porsche etwa seine eigenen Ambitionen? Die Fakten sind: Der Herausforderer aus Stuttgart-Zuffenhausen überflügelte seine Widersacher bisweilen auf der Gerade. Ein Bonus mit dem sich Porsche auf der Via Regia des Langstreckensports zweifelsohne einen Vorteil verschaffen könnte. Denn ungefähr die Hälfte des Rundkurses von Le Mans erfordert schlichtweg Spitzengeschwindigkeit. Ein Defizit wies der 919-Hybrid-Sportwagen dagegen hinsichtlich der Zuverlässigkeit auf. Kinderkrankheiten plagten die Weissacher Werksmannschaft.

Yoshiaki Kinoshita: „Ein einziges Ziel: zu siegen“

Gelingt stattdessen Toyota wider Erwarten der große Coup? In Silverstone und Spa-Francorchamps demonstrierte die TMG-Überraschungsmannschaft Schnelligkeit, Standfestigkeit und taktisches Kalkül. Ebendieser Vorraussetzungen bedarf es, um in Le Mans innerhalb eines Sonnenumlaufes die Oberhand zu gewinnen. Überdies fuhr Sébastien Buemi die Tagesbestzeit bei der Vorbereitungsfahrt auf der Kombination aus permanenter Strecke und abgeriegelter Landstraße. 

Mittlerweile hat die Chefetage das Tabu gar gebrochen. Toyota kokettiert offiziell mit der Favoritenrolle. „Wir reisen mit einem einzigen Ziel im Visier an: zu siegen“, tut Teampräsident Yoshiaki Kinoshita in einem Kommuniqué kund. „Viele Faktoren liegen nicht in unserem Einfluss, etwa die Leistung unserer Konkurrenten, Glück und das Wetter – doch unsere Hausaufgaben haben wir gemacht. Jetzt müssen wir das während der Woche auch umsetzen.“

Zugleich wäre Toyota damit imstande, endlich seine offene Le-Mans-Rechnung zu begleichen. In der Vergangenheit lastete schlechterdings ein Fluch auf der Konstrukteur aus Fernost, der ewige Zweite an der Sarthe zu bleiben. Oftmals wähnte sich Toyota bereits als sicherer Sieger und unterlag letzten Endes doch – zuletzt im Jahr 1999. Eine Reifenpanne ließ den Traum vom Sieg in der Schlussphase platzen.

Außer Konkurrenz: Rebellion Racing

Abseits der Machtprobe der Werke verfolgt ein Ensemble wiederum gänzlich andere Ziele. Auf einem Nebenschauplatz in der Region Pay de la Loire fährt Rebellion Racing ein Rennen gegen sich selbst. Da Lotus dem ACO eine Absage erteilt hat, tritt der eidgenössische Rennstall als einziger Wettbewerber mit zwei R-One-Prototypen in der LMP1-Light-Division an. Das Vorhaben: eine Zielankunft und unter Umständen von den Zwischenfällen der anderen profitieren. 

Darüber hinaus verschafft eine Anpassung der Regularien Rebellion Racing einen minimalen Vorteil. „Nach dem Testtag letztes Wochenende hat sich eine kleine Änderung in den Regularien ergeben, die uns hilft die Lücke zu den Werksfahrzeugen zu schließen, und wir hoffen, dass diese uns in eine wettbewerbsfähigere Position manövriert“, erläutert Team-Manager Bart Hayden. „Wir befinden uns noch in einem Lernprozess mit den R-One-Fahrzeugen, aber in der Zwischenzeit haben wir eine angemessene Zahl an Testkilometern zurücklegt, um die Komponenten zu erproben.“

Die Erwartungen seiner Mannschaft seien dennoch „bescheiden“, die Rebellen wollten vielmehr „gute Unterhaltung“ bieten. „Selbstverständlich werden wir unser Bestes geben in der Hoffnung, in einer aussichtsreichen Position zu bleiben – bereit von den Schwierigen zu profitieren, welche die anderen womöglich haben“, fügt Hayden hinzu. „Unsere eigene Standfestigkeit ist noch nicht gänzlich bewiesen, daher bereiten wir uns auf ein hartes Rennen vor.“

Weiteres zum Thema