Spa-Francorchamps: Avanciert Toyota zum Favoriten?

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Ist Toyota zum Favoriten für Le Mans avanciert? Mit dem abermaligen Triumph in Spa-Francorchamps zementierte der Hersteller seine Anwartschaft auf den Gesamtsieg. Selbst Widerpart Audi räumt ein: „Das Tempo des Siegerautos konnten wir nicht mitgehen.“ Derweil haderte Porsche mit technischen Ungereimtheiten.

Toyota hat seinen Siegeszug im Ardenner Wald fortgesetzt. Nach der Demonstration beim Auftaktrennen in Silverstone offenbarte die TMG-Delegation in Spa-Francorchamps abermals ihr Potenzial: Nicolas Lapierre, Anthony Davidson und Sébastien Buemi kontrollierten die zweite Begegnung der Langstrecken-WM meistenteils und triumphierten erneut – souverän. Ist der Hersteller aus Fernost damit zum Favoriten für Le Mans avanciert? 

Zwar stellt Toyota seine Anwartschaft auf den Erfolg nicht in Abrede, formuliert aber ebenso wenig konkrete Ambitionen für die Kraftprobe an der Sarthe. „Die ersten beiden Rennen der Saison zu gewinnen, ist eine denkbar gute Vorbereitung für Le Mans. Aber wir müssen uns noch auf die vielen Grundlagen konzentrieren. Wir sind besser vorbereitet als im Vorjahr. Schauen wir also, was das ausmacht“, vermeint Buemi nach dem fulminanten Aufgalopp.

Bis dato überflügelte Toyota die Konkurrenz in sämtlichen Belangen: schnelle Rundenzeiten, Standfestigkeit und Strategie. War die Kombination aus bewährtem Saugmotor und drei Viertel der maximalen Rekuperationsenergie womöglich die beste Alternative? „Wir haben unzählige Male gesehen: Le Mans ist ein einzigartiges Rennen. Dort kann alles Mögliche passieren“, vermeidet Team-Präsident Yoshiaki Kinoshita, die Favoritenrolle anzunehmen.

Eingeschränkte Sicht durch Öl auf der Windschutzscheibe

Stattdessen verweist der Kopf der Überraschungsmannschaft auf die bevorstehende Arbeit, um ihre zwittrigen Sportwagen für das Langstreckenrennen an der Sarthe zu präparieren. „Wir haben jetzt eine recht fordernde Zeit in der Vorbereitung auf Le Mans vor uns“, betont Kinoshita, welcher sich nichtsdestoweniger ehrgeizig gibt. „Wir werden hart darauf hinarbeiten, dass wir mit den bestmöglichen Voraussetzungen antreten können.“ 

Der Plot des Gefechtes in den Ardennen ist indes in wenigen Worten zusammengefasst: Nachdem Porsche-Werksfahrer Neel Jani zu Anfang seine Spitzenposition behauptete, vollzog sich nach dem zweiten Boxenstopp ein Führungswechsel. Buemi eroberte den ersten Rang im Klassement, wohingegen Porsche ins Hintertreffen geriet. „Gegen Ende hatten wir alles unter Kontrolle, und wir mussten nur die Zielflagge sicher erreichen“, resümiert Lapierre.

Die Stallgefährten Kazuki Nakajima, Stéphane Sarrazin und Alexander Wurz erklommen wiederum die unterste Stufe des Stockerls. Zu Beginn stieg das Dreigespann zwischenzeitlich im Klassement auf Position zwei empor, fiel allerdings wieder zurück. In der Schlussphase war zudem zeitweilig die Sicht im Cockpit eingeschränkt, da ein zu überrundendes Fahrzeug Öl verlor, welches sich auf Windschutzscheibe verteilte. Eine rasche Reinigung behob das Problem.

Toyota ändert Taktik: Kein Vorteil durch Doppelstints 

Überdies variierte Toyota seine taktische Herangehensweise im Laufe des Sechs-Stunden-Rennens. Der asiatische Konstrukteur unternahm den Versuch, lediglich bei jedem zweiten Boxenbesuch die frische Reifen zu montieren. Das Zeitersparnis der Doppelstints kompensierte jedoch nicht den Haftungsverlust der Pneus. Daher fasste Toyota zur Halbzeit den Entschluss, stattdessen bei jedem Tankstopp die Gummis zu wechseln. 

Angesichts der bisherigen Resultate drängt sich nun die Frage auf: Gefährdet Toyota die Stellung von Branchenprimus und Titelverteidiger Audi? Nach der Niederlage in Silverstone hat sich der Ingolstädter Konstrukteur im Hohen Venn fraglos rehabilitiert. Mit einer zurückhaltenden Vorstellung sicherte sich Audi die Plätze zwei und fünf sowie den sechsten Rang mit der Langheckvariante, welche Marco Bonanomi und Filipe Albuquerque für Le Mans testeten.

Die alten Fotostrecken sind leider nicht mehr verfügbar.

Aber ist Joest Racing tatsächlich imstande, Dominator Toyota beim Gipfeltreffen im Juni Paroli zu bieten? „Wir sind mit allen drei Autos angekommen und waren fast fehlerfrei unterwegs. Das Tempo des Siegerautos konnten wir unter den gegebenen Bedingungen jedoch nicht mitgehen“, räumt Teamdirektor Ralf Jüttner nach der Standortbestimmung in Spa-Francorchamps ein. Was sich am Samstag auf dem Traditionskurs in den Ardennen zutrug, bestätigt die Aussage Jüttners.

Kristensen: „Sehe uns nicht als Favoriten in Le Mans“

In der Startphase des zweiten Wertungslaufes rang Audi um den Anschluss an Porsche und Toyota. Daher taktierte Audi und wechselte nur bei jedem zweiten Tankstopp die Reifen, womit die Joest-Equipe im Unterschied zu Toyota reüssierte. „Positiv war, dass die Reifen auch im zweiten Stint sehr gut funktioniert haben“, betont Jüttner. Infolge des letzten Boxenaufenthalts schoben sich Tom Kristensen, Lucas di Grassi und Loïc Duval schließlich auf Position zwei. 

Dennoch gesteht auch Rekordsieger Kristensen ein: „Ich sehe uns in diesem Jahr nicht als die Favoriten in Le Mans.“ Zudem vergegenwärtigt ein Vergleich der Höchstgeschwindigkeiten auf der Kemmel-Geraden nochmals, welches Manko der Audi-Sportwagen aufweist. Im Vergleich zur Konkurrenz fehlen zwanzig bis dreißig Kilometer pro Stunde. Allerdings war die Marke mit den vier Ringen in der Lage, mit der Le-Mans-Konfiguration eins vergleichbares Tempo wie Toyota zu erreichen. 

In puncto Spitzengeschwindigkeit überragt nach wie vor Porsche. Die Herausforderer aus Stuttgart-Zuffenhausen haderten an diesem Wochenende allerdings mit technischen Gebrechen, weshalb Romain Dumas, Marc Lieb und Neel Jani mit dem vierten Platz vorliebnehmen mussten. Letzter führte das Starterfeld zu Beginn an, aber ein Problem an der Elektrik zwang Porsche zu einem außerplanmäßigen Stopp.

Seidl: „Im Rennen waren wir auf dem Niveau unserer Konkurrenten“

Darum musste Jani das Hybridsystem neu starten. „Im Auto 14 hatten wir einen Fehlalarm, der das Hybridsystem ausgeschaltet hat“, erläutert der Technische Direktor Alexander Hitzinger. „Romain Dumas musste eine Reaktivierungsprozedur durchführen, die viel Zeit kostete. Wir sind sehr konservativ, was die Sicherheit rund um das Hybridsystem angeht – da kann so etwas passieren.“ Obendrein fiel Jani in der finalen Phase einem schleichenden Plattfuß zum Opfer. 

Das Schwesterfahrzeug von Mark Webber, Brendon Hartley und Timo Bernhard plagten wiederum diverse technische Gebrechen. „Der Porsche mit der Nummer 20 hatte ein Problem mit der Hinterachsfederung“, erklärt Hitzinger. „Hinzu kamen zwei Defekte an den Antriebswellen vorn. Wir wussten, dass dies ein kritischer Punkt ist. Aus diesem Grunde können wir bereits bei den nächsten Testfahrten und in Le Mans auf verstärkte Teile zugreifen.“ 

Ein Glanzpunkt der Porsche-Bilanz: Werksfahrer Lieb fuhr in der Qualifikation die absolute Bestzeit des gesamten Wochenendes. „Das war ein Wochenende mit vielen positiven Momenten – zum Beispiel das Qualifying und unsere Rundenzeiten im Rennen“, resümiert Teamchef Andreas Seidl. „Aber wir haben heute auch gesehen, dass uns an der einen oder anderen Ecke noch etwas fehlt. Trotzdem: Im Rennen waren wir auf dem Niveau unserer Konkurrenten unterwegs.“