Langstrecken-WM: Energiewende im Le-Mans-Oberhaus

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Beim Auftakt der Langstrecken-WM in Silverstone tritt das neue LMP1-Reglement in Kraft. Doch welche Anforderung stellt der ACO im Wesentlichen an die Werke und Rennställe? Welche Lösungsansätze verfolgen die Hersteller? Und welche Rolle spielt der Fahrer in Zukunft? Ein Überblick.

In Silverstone bricht ein neues Zeitalter im Langstreckensport an. Beim Eröffnungslauf der Langstrecken-WM tritt Porsche erstmals unter Wettbewerbsbedingungen gegen Audi und Toyota an. Zugleich nordet ein revolutionäres Reglement die Hersteller auf eine grüne Zukunft ein. Fortan forcieren ACO und FIA die Entwicklung energieeffizienter Antriebe – eine erste Gegenüberstellung der Konzepte ermöglicht das Sechs-Stunden-Rennen in der Grafschaft Northamptonshire.

Doch welche Anforderungen stellen die künftigen Regularien an die Konstrukteure? Welche Ansätze verfolgen wiederum die Hersteller? Und welche Rolle spielt der Fahrer bei der Wettfahrt der Effizienz? Zweifelsohne: Die Begegnung auf dem Silverstone Circuit markiert den Auftakt zu einer epochemachenden Saison, welche aufzeigen wird, ob ACO und FIA ein zukunftsfestes Konzept entworfen haben.

Limitierung der Energiemenge pro Runde 

Zur Steigerung der Energieeffizienz in der Prototypen-Spitzenklasse haben ACO und FIA ein originäres Reglement konzeptualisiert. Künftig sind Werksmannschaften demnach verpflichtet, ihre Sportwagen mit einem Hybridsystem auszustatten. Um die Vor- und Nachteile zwischen den verschiedenen Antriebskonzepte der Konstrukteure jedoch auszubalancieren, vollziehen die Veranstalter einen Paradigmenwechsel.

Anstatt das Volumen des Hubraums oder die Restriktorengröße zu begrenzen, wird hinfort die Energiemenge limitiert, welche pro Runde zur Verfügung steht. Daher reguliert der ACO primär drei Parameter: die verfügbare Rekuperationsenergie, die Kraftstoffmenge sowie die Durchflussmenge des Treibstoffes. Das Regelwerk stellt den Herstellern nun anheim, wie viel Energie das Hybridsystem zurückgewinnt und beim Beschleunigen wiederum zuführt.

 Balance of Technology
   Silverstone  Spa-Francorchamps
 Audi R18 e-tron quattro  66,5 MJ/1,34 MJ/80,2 kg/h  79,1 MJ/1,59 MJ/80,2 kg/h
 Toyota TS040 Hybrid  66,9 MJ/4,02 MJ/89,5 kg/h  79,6 MJ/4,78 MJ/89,5 kg/h
 Porsche 919 Hybrid  66,9 MJ/4,02 MJ/89,5 kg/h  79,6 MJ/4,78 MJ/89,5 kg/h
 *Kraftstoffenergie pro Runde/Rekuperationsenergie pro Runde/Kraftstoffdurchfluss

Die Skala erstreckt sich von zwei bis acht Megajoule. In Abhängigkeit zu ebendieser Menge an Energie berechnet der ACO den maximalen Verbrauch pro Umlauf in Litern: Je höher die Rekuperationsenergie, desto geringer der zulässige Verbrauch. Entscheidet sich der Hersteller obendrein für einen Dieselmotor, muss der Fahrer innerhalb einer Umrundung der Strecke mit noch weniger Treibstoff auskommen, da Dieselkraftstoff über einen höheren Energiegehalt verfügt.

Fuel-Flow-Meter misst Durchfluss des Kraftstoffes 

Damit die Regelhüter jederzeit den Verbrauch kontrollieren können, müssen die Ingenieure in ihren Rennwagen einen Fuel-Flow-Meter installieren. Besagtes Messgerät ermittelt den Spritverbrauch pro Zeiteinheit und wird in Formel-1-Kreisen seit dem Großen Preis von Australien kontrovers diskutiert. Audi, Toyota und Porsche sowie die Organisatoren attestierten nach dem Prolog in Le Castellet allerdings, das Bauteil funktioniere einwandfrei.

Auf diese Weise unterbinden die Regularien die Möglichkeit, beispielsweise während Gelbphasen Sprit zu sparen und anschließend den kompletten Überschuss an Kraftstoff zusätzlich zu verbrennen. Weicht der Verbrauch also ab, bleiben dem Piloten drei Runden, diese Differenz auszugleichen. Andernfalls sanktionieren die Sportkommissare den Verstoß mit einer Stop-and-Go-Stafe. Überdies messen die Aufseher ebenso den spezifischen Kraftstoffverbrauch, welcher angibt, wie effizient ein Verbrennungsmotor tatsächlich arbeitet.

Die Berechnung erfolgt mittels Drehmoment, Drehzahl und Fuel-Flow-Meter. Ergo sind die Hersteller nicht in der Lage, das System zur Zuteilung der Benzin- oder Dieselmenge pro Runde zu unterlaufen. Denn diese ordnet der ACO anhand des spezifischen Kraftstoffverbrauchs zu. Falls einer der Prototypen einen besseren Wert erzielt, als die Ingenieure im Vorhinein angegeben haben, ahndet die Rennleitung das Vergehen. Geringfügige Abweichungen sind allerdings zulässig.

Ansätze der Hersteller: Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin 

Obgleich die Protagonisten permanent unter Beobachtung stehen, genossen die Techniker bei der Konstruktion ihrer Automobile etliche Freiheiten. Darum wählten die Hersteller diametrale Ansätze, um Antworten auf die Fragen des neuen Reglements zu finden. Audi hält an seiner Philosophie fest und hat neuerlich einen Selbstzünder entwickelt, wohingegen Porsche und Toyota einen konventionellen Ottomotor in ihren Boliden verbauen.

Nichtsdestotrotz übernimmt Porsche gleichsam eine Vorreiterrolle beim Gebrauch progressiver Technologien. Das Triebwerk: ein Vier-Zylinder-Motor mit zwei Litern Hubraum, Benzin-Direkteinspritzung sowie Monoturbo-Aufladung, welcher zirka 500 PS leistet. Zudem hat sich die Traditionsmarke aus Stuttgart-Zuffenhausen für eine Rekuperationsenergie von sechs Megajoule entschieden.

 Technische Gegenüberstellung
   Audi R18 e-tron quattro
 Toyota TS040 Hybrid
 Porsche 919 Hybrid
 Motor
 Dieselmotor  Ottomotor  Ottomotor
 Modell
 V6 TDI  V8-Saugmotor  V4 Turbo
 Hubraum
 4 l  3,7 l  2 l
 Leistung
 537 PS + 231 PS  520 PS + 480 PS  503 PS + 250 PS
 Energie
 2 MJ  6 MJ  6 MJ
 ERS
 KERS  KERS  KERS + Abgas/Thermisch
 Energiespeicher
 Schwungrad  Akkumulator  Lithium-Ionen-Batterie

Ferner verfügt der Porsche 919 Hybrid über zwei unterschiedliche Systeme zur Energierekuperation. Eine Variante der Rückgewinnung bedient sich eines Elektrogenerators, welcher sich die thermische Abgasenergie zunutze macht und durch dessen Strom angetrieben wird. Das zweite System macht von einem Generator an der Vorderachse Gebrauch, das wiederum beim Bremsvorgang Energie zurückgewinnt. Als Energiespeicher dienen Lithium-Ionen-Batterien.

Toyotas Offensive mit tausend Pferdestärken

Derweil erregte Toyota bereits in puncto Vermarktung Aufsehen. Die TMG-Abteilung präsentierte in der Provence den zwittrigen TS040-Prototyp, welcher unter Vollast annäherungsweise tausend Pferdestärke leistet. Diese gigantische Zahl ergibt sich aus einem 520 PS starken 3,7-Liter-Benzinmotor, welchen das Hybridsystem nochmals mit 480 PS unterstützt. Die Rekuperationsenergie beträgt ebenfalls sechs Megajoule.

Anfangs erwogen die Toyota-Techniker gar ein Kapazität von acht Megajoule. „Aber intensivere Rückgewinnung kinetischer Energie bedeutet Mehrgewicht, was sich auf die Rundenzeiten niedergeschlagen hätte“, begründet Entwicklungsleiter Hisatake Murata. Die Rückgewinnung erfolgt ausschließlich beim Bremsvorgang, wobei ein Akkumulator die Energie speichert. Beim Beschleunigen treibt eine Motor-Generatoren-Einheiten die Vorder- und Hinterachse zusätzlich an.

Titelverteidiger Audi wählt hingegen eine konservative Herangehensweise und greift auf die geringste Rekuperationsenergie von zwei Megajoule zurück. Damit minimiert der Branchenprimus aus Ingolstadt den Leistungsverlust bei einem Defekt oder womöglich einem Totalausfall des Hybridsystems. Überraschenderweise haben die Audi-Ingenieure indes den Hubraum des V6-TDI-Triebwerks auf vier Liter vergrößert.

Wie Toyota gewinnt auch Audi die Energie beim Bremsvorgang zurück, woraufhin diese durch eine Motor-Generator-Einheit an der Vorderachse fließt. Zur Speicherung verwendet der Audi R18 e-tron quattro ein Schwungrad. Des Weiteren verfügen sämtliche Fahrzeuge aufgrund des Hybridsystems über einen temporären Allrad-Antrieb, welcher sich bis dato nicht rentierte, da das Regelbuch jenen erst ab einer Geschwindigkeit von 120 Kilometer pro Stunde genehmigte.

Fahrer müssen „Komplexität der neuen Regeln“ erfassen

Schlussendlich stellt das zukunftsweisende Reglement ebenso neu Anforderungen an den Fahrer. „Runde um Runde müssen sie ein exaktes Verbrauchsziel erfüllen und dabei weiterhin um die beste Position auf der Strecke kämpfen“, erklärt Audi-Motorsportchef Doktor Wolfgang Ullrich. „Die Fans werden also auch in Zukunft spannenden Sport erleben.“ Demgemäß muss der Pilot einen Kompromiss aus sparsamen und flotten Fahren finden.

Um bei ihrem Vorgehen Verstöße zu vermeiden, müssen die Athleten das Regelbuch akribisch studieren. „Es geht für Fahrer und Ingenieure darum, die Komplexität der neuen Regeln zu erfassen und sie optimal auf Rennsituationen anzuwenden“, erläutert Audi-Ingenieurin Leena Gade. „Dazu ist ein fehlerfreier Informationsfluss nötig. Wir müssen den Fahrern regelmäßig über Funk mitteilen, ob sie innerhalb dieser Limits bleiben.“

Im Überrundungsverkehr haben die Fahrer die Möglichkeit zu taktieren, indem sie abwartend agieren. Trifft der Lenker beim Anfahren einer Kurve auf einen langsameren Mitstreiter, empfiehlt es sich gelegentlich, erst im Kurvenausgang zu überholen, um zuvor Kraftstoff zu sparen. „Es kommt mir nicht so vor, als müsste ich meinen Fahrstil jetzt grundlegend verändern“, bekräftigt Lucas di Grassi dennoch. „Schon in der Vergangenheit gab es Situationen, in denen wir auf den Verbrauch achten mussten, um bestimmte Rennstrategien umzusetzen.“

Für den Zuschauer sei allerdings kein erkennbarer Unterschied ersichtlich. „Selbst bei sehr unterschiedlichem Verbrauch ähneln sich die Rundenzeiten stark und deshalb sind wir mit ähnlichem Tempo unterwegs“, merkt der Brasilianer an. „Es geht prinzipiell darum, an einigen Stellen viel Energie zu sparen, ohne über eine Runde nennenswert langsamer zu fahren – zum Beispiel, indem wir früher vom Gas gehen.“