Le Mans: Im Herzen der Sportwagen-Welt

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Eine Stadt im Ausnahmezustand: Das einundachtzigste 24-Stunden-Rennen von Le Mans steht bevor – Wissenswertes über den Traditionskurs an der Sarthe, die berüchtigte Hunaudières, den klassischen Le-Mans-Start, die Tragödie von 1955 und einen ganz normalen französischen Ort.

Unweit der nordwestfranzösischen Stadt Le Mans entfernt, ereignet sich jährlich das Sportwagen-Spektakel schlechthin. Auf dem aus permanenten Streckenabschnitten und öffentlichen Landstraßen kombinierte Kurs an der Sarthe, spielt sich im Juni traditionell die Schlacht um die französische Krone des Motorsports ab. Die Rede ist von den 24 Stunden von Le Mans, eines der drei prestigeträchtigsten Rennen der Welt, dessen 81. Auflage in diesem Jahr ausgetragen wird.

Ikonen des Motorsports haben in jenem Sportwagen-Mekka bereits ihre Spuren hinterlassen. Sei es Rennfahrerlegende Jacky Ickx, der den Langstreckenklassiker bemerkenswerte sechsmal gewinnen konnte oder Tom Kristensen, den das 24-Stunden-Rennen von Le Mans erst zur Legende machte – unglaubliche achtmal triumphierte der Däne an der Sarthe. Aber auch der siebenfache Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher versuchte an der Seite von Heinz-Harald Frentzen und Karl Wendlinger sein Glück: In Diensten von Sauber-Mercedes belegte das deutsche Trio einen beachtlichen fünften Gesamtplatz.

Dennoch wurden in Le Mans nicht nur Erfolge gefeiert, viele Fahrer sind hier auch schon in neunzig Jahren Motorsportgeschichte, von denen neun kriegsbedingt pausiert wurde, gescheitert. Eine der größten Herausforderungen ist dabei wohl die Strecke selbst. Der weltberühmte Circuit de la Sarthe misst 13,62 Kilometer und war bereits Schauplatz dramatischer Szenen, deren Film von den spektakulären Abflügen der Mercedes CLR in 1999 bis hin zu dem traurigen Unfall von 1955 reicht.

Vor neunzig Jahren: Im Sinne der Zuverlässigkeit

Erstmals wurden die 24 Stunden von Le Mans im Jahr 1923 organisiert. Hintergrund dieser Veranstaltung war, Herstellern die Möglichkeiten zu bieten, der Konkurrenz und potenziellen Kunden die Zuverlässigkeit ihrer Fahrzeuge zu demonstrieren. Wie viele der damaligen Pisten wies auch der Circuit de la Sarthe dreiecksförmige Züge auf und zählte, konkurrierend mit Indianapolis, zu den schnellsten Rennstrecken der Welt. Um eine Runde zu absolvieren, hatten die Piloten allerdings eine vergleichsweise weite Distanz von 17,621 Kilometer zurückzulegen.

Die Start-und-Ziel-Gerade war dennoch die selbige wie in diesem Jahrtausend. Wenn jedoch damals die Motoren zum Start angelassen wurden, ging es in rasanter Fahrt Richtung Le Mans, bevor eine enge Rechtskehre über die heutige Avenue George Durand zur berühmten Passage Tertre Rouge führte, welche wiederum zum Layout der aktuellen Strecke gehört. Der anschließende Streckenverlauf ähnelt im Grunde genommen dem gegenwärtigen: Die Fahrt wurde südlich in Richtung Mulsanne fortgesetzt, danach nordwestlich zu Arnage, um zu Start-Ziel zurückzukehren. Nichtsdestotrotz musste der weltberühmte Rundkurs an der Sarthe in knapp neunzig Jahren Motorsportgeschichte mehrfach Umbauarbeiten über sich ergehen lassen.

Bereits sechs Jahre nach der ersten Auflage des Prestigerennens wurden erste Änderungen an der Streckenführung vorgenommen, und die Fahrzeuge wurde in der Innenstadt umgeleitet, was aber lediglich eine Verkürzung der Rundendistanz um wenige hundert Meter bedeutete. Eine schwerwiegende Änderung folgte erst in 1932: Ab diesem Jahr wurde kein Abstecher mehr nach Le Mans gefahren, sondern die Variante über den Dunlop-Bogen und dem Esses-Schlenker, der in Tertre Rouge mündet. In den Grundzügen entsprach diese Variation dem heutigen Streckenverlauf. Dementsprechend wurde in den darauffolgenden dreißig Jahren keine Neuerungen vollzogen.

Mit dem Voranschreiten der Entwicklungen stiegen aber auch die Geschwindigkeiten der Rennfahrzeuge auf dem Circuit de la Sarthe und mit ihnen häuften sich die Todesfälle, insbesondere bei den April-Testfahrten in den sechziger Jahren kostete der Kurs einigen Piloten das Leben. Diese veranlasste den veranstaltenden Automobil Club de l’Ouest, die Ford-Schikane hinzuzufügen, um die Autos vor der Start-und-Ziel-Gerade einzubremsen. Darüber hinaus wurde der Kurs mit dem Circuit Bugatti um eine Teststrecke ergänzt. Wenigen dürfte hingegen das Konzept für eine runde 13 Kilometer lange Version der Strecke im Jahr 1970 bekannt sein, die von der Form einem Wikingerhut ähnelte, aber nie verwirklicht wurde.

Es folgten weitere Einschnitte in den siebziger und achtziger Jahren so zum Beispiel die Porsche-Schikane, welche dazu diente, die Geschwindigkeit im gefährlichen Maison-Blanche-Knick zu reduzieren. Außerdem wurde Tertre Rouge während Bauarbeiten aufgrund einer Umgehungsstraße um die Stadt verengt. Ebenso fiel die Kurve Mulsanne den öffentlichen Straßen zum Opfer, ein neu gebauter Kreisel machte Umbauten nötig. Des Weiteren wurde in 1987 aus dem Dunlop-Bogen eine Schikane.

Hunaudières: Geschwindigkeiten jenseits der 400 km/h

Einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte der Circuit de la Sarthe wohl auch durch seine weltberühmte Ligne Droite des Hunaudières. Auf dem Weg von Tertre Rouge zu Mulsanne drückten die Protagonisten am Steuer ihrer Sportprototypen früher auf jener Gerade über fünf Kilometer lang das Gaspedal bis zum Anschlag. In den siebziger und achtziger Jahren wurden auf diesem Geradeausstück Geschwindigkeiten über 400 km/h erreicht. Ob die Fahrer in diesem Moment noch Herr über ihre Fahrzeuge waren, sei bis heute dahin gestellt.

Welche Höchstgeschwindigkeiten auf der Hunaudières letztendlich erzielt wurden, ist nach wie vor strittig, da die Messungen des Automobil Club de l’Ouest und der Teams auseinander gehen. Dies ist darauf zurückzuführen, weil an den Punkten, wo der Veranstalter gemessen hat, nicht zwingend Bestwerte gefahren wurden. Als offizieller Rekordhalter gilt dessen ungeachtet Roger Dorchy im Cockpit des Peugeot WM P87 im Jahr 1988 mit einer Spitzengeschwindigkeit von 407 km/h. Zwar behauptete Sauber-Mercedes ein Jahr später anhand der Telemetriedaten belegen zu können, diese Marke überboten zu haben, doch der Automobil Club de l’Ouest las auf seiner Skala nur eine Geschwindigkeit von rund 400 km/h ab.

Leider forderte die Mulsanne Straight, wie sie in englischen Fachkreisen häufig genannt wird, auch ihre Opfer. Insgesamt 13 Menschen kostete die berüchtigte Gerade das Leben, darunter auch einen Zuschauer. Das Unglück des Rennfahrers Jo Gartners aus dem Porsche-Lager war in der Saison 1990 schließlich ausschlaggebend für weitere drastische Maßnahmen im Zuge der Sicherheit. Die Hunaudières wurde durch zwei Schikanen in drei jeweils knapp zwei Kilometer lange Abschnitte unterteilt.

Die letzten Umbaumaßnahmen waren dies trotzdem nicht. Es folgten Auslaufzonen im Bereich Arnage und Indianapolis. In 2002 wurde der Streckenabschnitt in Anschluss an die bekannte Dunlop-Brücke um eine Links-rechts-links-Kombination erweitert. Weitere vier Jahre später pfuschte der Automobil Club de l’Ouest neuerlich an der Dunlop-Schikane und der Tertre Rouge rum, was als jüngste Veränderung gilt.

Der Le-Mans-Start und sein Gegner

Zudem ist Le Mans für seine ehemalige Startprozedur bekannt. Beim klassischen Le-Mans-Start saßen die Fahrer bei der Rennfreigabe nicht in ihren Autos, sondern standen auf der anderen Straßenseite. Wenn dann durch Schwenken einer Fahne das Startsignal gegeben wurde, spurteten die Protagonisten zu ihren Arbeitsgeräten, die in einem Winkel von zwanzig Grad in Fahrtrichtung angeordnet waren, um dann ins Gefecht zu ziehen.

Diese Variante barg aber ebenso ihre Gefahren, denn um den Ablauf zu beschleunigen, verzichteten einige Piloten auf das Anschnallen der Sicherheitsgurte und zogen jene erst auf der nächsten Gerade fest. Angesichts dieses Risikos wurde der 1925 eingeführte, klassische Le-Mans-Start in der Saison 1970 abgeschafft. In jenem Jahr brauchten die Teilnehmer nicht mehr die Strecke zu überqueren, sondern durften bereits vorher in ihren Boliden Platz nehmen und warteten auf das Senken der Fahne.

Einer der bekanntesten Gegner des Le-Mans-Starts war Jacky Ickx, der bei seiner ersten Teilnahme im Jahr 1969 demonstrativ seinen Unmut über diese Prozedur äußerste. Der Belgier boykottierte den vorgesehenen Startablauf, indem er in gemächlichen Tempo zu seinem Fahrzeug spazierte und sich in aller Seelenruhe anschnallte. Trotz dieser Provokation gewann Jacky Ickx nach 24 Stunden Fahrzeit das Rennen mit seinem Teamkollegen Jackie Oliver im Ford GT 40. Mitstreiter John Woolfe, der beim Start nicht unverzüglich seinen Sicherheitsgurt anlegte, schaufelte sich hingegen sein eigenes Grab und verunglückte in diesem Rennen tödlich.

Doch keine Schlagzeile ohne Trivia: Sein Faible für Sicherheitsgurte schien eine unterbewusste Vorahnung gewesen zu sein. Am Montag nach der Veranstaltung in Le Mans befand sich Ickx in seinem Porsche Targa auf dem Weg von einer Preisverleihung zurück nach Paris, als es nahe Chatres zu einem verheerenden Unfall kam. Ein voraus fahrendes Auto fädelte sich in den Verkehr, dessen Fahrer den Motorsportler Ickx nicht bemerkte, als dieser seinen Fehler realisierte, bliebt er mitten auf der Straße stehen. Der belgische Rennfahrer stand vor der Wahl zwischen einer Kollision oder den Asphaltstreifen zu verlassen. Er entschied sich für Letzteres und prallte gegen einen Telegrafenmasten. Wie durch ein Wunder stieg Ickx unverletzt aus seinem Wagen – dem Sicherheitsgurt sei dank!

Nichtsdestotrotz wird bis heute an der Tradition des Le-Mans-Start festgehalten. Bevor die Fahrzeuge in die Startaufstellung rollen, werden sie als Teil einer Präsentation im Vorprogramm klassisch angeordnet und mit Flaggen der Nationalität des jeweiligen Teams abgedeckt.

1955: Schlimmste Katastrophe des Motorsports

Leider hat die Historie des Prestigerennens auch ihre Schattenseiten. Am 11. Juni 1955 wurde ein düsteres Kapitel Rennsportgeschichte geschrieben, als sich in Le Mans die schlimmste Katastrophe des Motorsports zutrug. Einer Kollision zugrunde liegend, starben an jenem Tag 84 Menschen.

Die dramatische Szene spielten sich rund zwei Stunden nach dem Start eines bis zu diesem Zeitpunkt aufregenden Rennens ab. Der Führende Mike Hawthorn (Jaguar) überholte Lance Macklin (Austin-Heleay) auf der Start-und-Ziel-Gerade. Dahinter folgten die beiden Mercedes-Piloten Pierre Levegh und Juan Manuel Fangio. Nachdem Hawthorn seinen Überrundungsvorgang getätigt hatte, scherte der Jaguar-Fahrer nach rechts, um zu seiner Boxenmannschaft abzubiegen, deshalb musste der überholte Macklin wiederum nach links ausweichen.

Das Unglück nahm seinen unvermeidbaren Lauf, denn Levegh blieb nicht genügend Zeit, um, der Situation entsprechend, zu handeln, was eine Kollision zufolge hatte. Der Mercedes berührte den Austin-Heleay hinten links, dessen Heck als Sprungrampe in das tragische Desaster diente. Der Silberpfeil wurde mit einem Linksdrall in die Luft geschleudert und landete auf einem Erdwall zum Schutze der Zuschauer. Dieser verfehlte jedoch seine Wirkung, und die Wucht des Aufpralls ließ den verunfallten Wagen Purzelbäume schlagen, wobei Wrackteile in die Menschenmengen geschleudert wurden. Selbst der Motorenblock löste sich und durchbrach das leichte Chassis, während der Benzintank explodierte und in Flammen aufging.

Im Laufe dieses Vorgangs wurde der Flammpunkt der Legierung, aus welcher das Chassis bestand, überschritten, und der Stoff brannte mit weißer Flamme. Ein glühender Aschemantel bedeckte die Zuschauermassen, Helfer, die den Brand mit Wasser löschen wollten, machten die Situation nur noch schlimmer. Denn aufgrund der speziellen Legierung brannte das Feuer noch heftiger und loderte bis einige Stunden nach dem Unglück. Bilder die bis heute in den Köpfen der Beobachter verankert sind.

Levegh erlag seinen Verletzungen noch am Unfallort. Sein Teamkollege Fangio, der im letzten Augenblick durch Handzeichen gewarnt wurde, konnte dem Schwesterfahrzeug sowie dem Austin-Heleay, welcher wiederum gegen die Leitplanken knallte, ausweichen. Im Gegensatz zu 84 anderen Menschen überlebte dessen Pilot Macklin die Tragödie. Dennoch brachen die Verantwortlichen den Wettbewerb nicht ab. Begründung: Man wolle den Rettungskräften freie Zufahrt gewährleisten. Mercedes zog seine verbliebenen Schützlinge anschließend aus dem Rennen zurück, Jaguar fühlte sich hingegen nicht verantwortlich, setzte die Fahrt fort und sicherte sich in diesem Katastrophenrennen den Doppelsieg.

Dieser Vorfall hat den Motorsport maßgeblich verändert. Zwar ergaben Untersuchungen im Nachhinein, dass Jaguar nicht die Schuld für das Unglück trägt, sondern sich ein reiner Rennunfall ereignet habe. Mangelnde Sicherheitsvorkehrungen seien der Grund für die Tragödie gewesen. Trotzdem wurden in einigen Ländern Konsequenzen gezogen: In der Schweiz sind Rundstreckenrennen bis heute verboten.

Eigentlich eine ganz normale Stadt

Im Nordwesten Frankreichs, wo Sarthe und Huisne zusammen fließen, liegt diese 142 281 Einwohner zählende Stadt, welche – würden nicht jährlich Bilder und Geschichten von Hunaudières, spektakulärem Abflüge, dramatischen Duellen, Schlachten der Automobilhersteller oder leider auch Tragödien um die Welt gehen – wohl eigentlich kaum wahr genommen würde. Denn andernfalls unterschiede sich Le Mans nicht von anderen französischen Städten.

Im Bereich Sport schickt Le Mans Mannschaften im Fußball, Basketball und Handball in den Erstligakampf. Ebenso, was die Sehenswürdigkeiten betrifft, zeigt Le Mans einen typischen mittelalterlichen Charakter. Von Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg ist die historische Altstadt weitestgehend verschont geblieben. Bekanntestes Gebäude ist die gotische Kathedrale Saint-Julien du Mans, aber auch die gallo-römische Stadtmauer, welche gegen Ende des dritten Jahrhunderts erbaut wurde, ist ein Blick wert.

Für die Fans des Langstreckenklassikers, die jährlich aus aller Welt anreisen – im Jahr 2008 wurde ein Zuschauerrekord von 258.000 Schaulustigen verbucht – deren größter Anteil britischer Herkunft ist, dürfte ein Besuch der Altstadt Pflicht sein, denn dort findet traditionell am Freitag vor dem Rennen die Fahrerparade statt. Darüber hinaus hinterließen Rennfahrer in der Fußgängerzone Hand- und Fußabdrücke auf Messingplatten, und jede dieser Verewigungen hat ihre eigene Geschichte, von denen einige noch längst nicht zu Ende sind – das nächste Kapitel wird womöglich in wenigen Tagen aufgeschlagen …