SCI-Technikschule VII: Die Aerodynamik

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Kaum etwas hat derart viel Einfluss auf die Rundenzeiten, die moderne Sportwagen erreichen können, wie deren Aerodynamik. Auch deshalb tüfteln Ingenieure an immer neuen Ideen, um mehr Abtrieb oder weniger Luftwiderstand zu erreichen. Dazu haben sie verschiedene Möglichkeiten.

Betrachtet man vor allem die Prototypen auf verschiedenen Rennstrecken, so erkennt man doch auch mit bloßem Auge hin und wieder einige Unterschiede. Da scheinen dem Auto plötzlich Flügel zu wachsen, Diveplanes kommen und verschwinden wieder. Auch die Front ändert sich hin und wieder. Mit all diesen Mitteln versuchen die Ingenieure die Fahrzeuge, auf die speziellen Belange der Rennstrecke abzustimmen.

Grundlagen: Umströmung von Körpern

Begutachtet man die Oberseite von Prototypen, dann dominieren, wenn man sich die Schnauze wegdenkt, vielfach Formen, bei denen die dem Wind zugewandte Seite stark abgerundet und breit ist. Diese laufen schließen nach hinten spitz zu. Bei LMP-Boliden sieht man diese Form häufig bei Radkästen, dem Cockpit beziehugnsweise auch bei den Überrollbügeln der offenen Fahrzeuge. Dies resultiert aus der aerodynamisch idealen Tropfenform, welche minimalen Luftwiderstand erreicht.

Ein Blick auf die Flügel zeigt: Eine ähnliche Form, nur dass dieses Mal der flach auslaufende Teil nach „oben“ weggebogen ist. Nun nutzen Ingenieure genau den gleichen Effekt aus, der Flugzeuge in der Luft hält, nur aufgrund des umgekehrten Flügelprofils wird dieser nun genutzt, um das Fahrzeug an den Boden zu drücken. Bedingt durch die Form, muss die Luft deshalb untenherum weiter fließen statt oben herum. Da sich beide Flächen aber mit derselben Geschwindigkeit bewegen ist die Fließgeschwindigkeit unten herum schneller und es entsteht ein Unterdruck, welcher das Fahrzeug an den Boden zieht.

Das Zweite, was auf Anhieb auffällt, ist, dass die Techniker versuchen, die Front und den gesamten Boden des Fahrzeugs so nah wie möglich über der Fahrbahnfläche zu halten. Dabei nutzt man einen dritten Effekt, den Bernouli-Effekt, aus. Bedingt durch den kleinen Querschnitt, welchen die Luft an der Front des Fahrzeugs hat, bewegt sich diese, relativ zum Fahrzeug, mit hoher Geschwindigkeit. Dies sorgt für einen Unterdruck. Nach hinten steigt die Fahrzeughöhe in der Regel an, spätestens wenn die Diffusoren erreicht sind. Der Spalt zwischen Fahrzeug und Boden weitet sich auf. Da aber, bis auf ein wenig seitlich angezogene Luft, nur jene Luft zur Verfügung steht, welche vorne angesaugt wurde, verlangsamt diese nun ihre Relativbewegung zum Fahrzeug und füllt die hinter dem Fahrzeug entstehende Ruhezone aus. Dies sorgt für vergleichsweise viel Abtrieb (durch die Front) bei vergleichsweise wenig Luftwiderstand, da die Turbulenzen hinter den Fahrzeug geglättet werden.

Flügel: Die Klassiker

Als in den siebziger Jahren die Sportwagen begannen Flügel auszubilden, benutzten Ingenieure oftmaks recht einfache, nach beiden Seiten offene Profile, ähnlich denen, wie man sie von damaligen Flugzeugen kannte. Über die Jahre kamen jedoch immer mehr Beschränkungen, welche die Flügel in Länge und Breite beschränkten. Aber auch hierbei gelang den Aerodynamikern der ein oder andere Coup.

Einer der augenfälligsten Unterschiede war wohl die Einführung der Endplatten. Hängt ein Flügelprofil (oder auch nur eine Platte) einfach im Wind, so wird sich von den vorderen Ecken weg eine Luftverwirbelung ausbreiten, die, je weiter die Luft über den Flügel strömt, stets breiter wird. Diese trägt jedoch nichts zum Abtrieb bei, sondern erhöht lediglich den Luftwiderstand. Die Endplatten sorgen nun ihrerseits dafür, dass die Verwirbelung nicht von der aerodnamisch wichtigen Flügelfläche entspringt, sondern von ihren Enden, die jedoch senkrecht zum Flügel stehen und diesen daher nicht beeinflussen, vorausgesetzt die Endplatten sind groß genug.

Als in Le Mans Anfang beziehungsweise Mitte des letzten Jahrzehnts die Größe der Endplatten stark beschränkt wurde, versuchten die Teams ihrerseits fast alles, um wieder Fläche hinzuzugewinnen, was zu interessanten Lösungen wie der doppelten Endplatte von Pescarolo führte.

Eine weitere Entwicklung über die Jahre war der mehrteilige Flügel, wie er aktuell in den meisten Sportwagenreglements verboten ist. Vereinfacht gesagt, sorgt hier der erste Flügel für eine Umlenkung der Luft (wir erinnern uns, das Ende ist nach oben gebogen). Der zweite Flügel nimmt die Luft anschließend in ihrer neuen Richtung ab und verstärkt diesen Effekt. Allerdings darf der zweite Flügel nicht beliebig groß werden, weil sonst die „tote Zone“ hinter dem Fahrzeug zu groß wird.

Stellt man die Flügel zu steil an, so wird die unten herum geleitet Luft irgendwann den Kontakt zur Flügelfläche verlieren. Bei diesem sogenannten Strömungsabriss nimmt der Abtrieb des Flügels stark ab. Gerade auf langsamen Strecken wird dies aber teilweise in Kauf genommen. Denn man gewinnt mehr Abtrieb, indem der Flügel die Luft nach oben drückt, als man aufgrund der schlechten Ausnutzung des Flügelprofils bei niedrigen Geschwindigkeiten verliert. Allerdings bei zunächst mehr Luftwiderstand.

Der Unterboden: Mächtig, aber reglementiert

Anders als Formel-Rennwagen haben Sportwagen eine relativ große Fläche als Unterboden, die sich sehr gut aerodynamisch nutzen lässt. Allerdings zu einem Preis, da Fahrwerksbewegungen und der Verlust des Bodenkontakts massiven Einfluss auf den Abtrieb nehmen können. In fast allen Fällen, in denen während der letzten zwei Jahrzehnte Fahrzeuge abhoben, war der Unterboden beteiligt. Aus diesem Grund wurden mittlerweile einige Regeln eingeführt, welche die Nutzung des Unterbodens als aerodynamisches Element begrenzen.

Wie bereits in den Grundlagen beschrieben, erfolgt die Erzeugung von Abtrieb hier durch die Tatsache, dass Luft, welche durch einen engen Spalt gezwängt wird und sich schnell bewegt, einen Unterdruck erzeugt. In den achtziger Jahren wurde dies auf die Spitze getrieben, und es entstanden Fahrzeuge, welche quasi ab dem Frontsplitter bis zum Heck einen durchgängigen Diffusor besaßen. Dies wurde über die Jahre verboten. Der Grund liegt darin, dass sobald die Front Unterluft bekam sofort der Abtrieb abriss.

Heute beginnen die Diffusoren erst kurz vor den Hinterrädern. Gleichzeitig wurde der Rest des Unterbodens als glatte Fläche definiert, was es verbietet, dort irgendwelche Flügel anzubringen. Um die Abhängigkeit des Abtriebs von Fahrwerksbewegungen zu verringern, muss gerade bei LMP mittlerweile die Mitte des Frontsplitters angehhoben werden. Außerdem gibt es Regeln, welche eine minimale Bodenfreiheit festlegen. Beides hilft dabei, den Abtrieb im Griff zu behalten. Trotzdem erzeugen die LMP- und GT-Boliden immer noch den Hauptteil ihres Abtriebs durch den Unterboden. Der Vorteil für den Zuschauer ist dabei, dass die Fahrzeuge zwar die in der Formel 1 gefürchtete „dirty air“ erzeugen, da aber keine freihängenden Frontflügel eingesetzt werden, sie dies aber auch weniger stört. Entsprechend eng können die Fahrzeuge auch in Kurven einander folgen.

Diveplanes: Trimmung und Anpassung

Betrachtet man die Fahrzeuge, so sieht man immer wieder, dass diese an den vorderen Kotflügeln mal mehr und mal weniger „Schaufeln“ zu haben scheinen. Diese sogenannten Diveplanes erzeuge den Abtrieb quasi mit der Holzhammermethode. Ähnlich wie ein zu steil angestellter Flügel drücken sie die Luft nach oben und damit das Auto nach unten und nehmen dabei einen Strömungsabriss dahinter in Kauf.

Diese Elemente dienen in erster Linie der Trimmung, wenn zum Beispiel für eine langsamere Strecke der Abtrieb am Heck erhöht wird, muss dies ja auch irgendwie an der Front passieren. Andernfalls wird das Fahrzeug instabil.

Ein Nachteil dieser Teile ist, dass sie bei Kontakt mit anderen Fahrzeugen gegelentlich davon fliegen und sich das Fahrverhalten entsprechend ändert. Auch aus diesem Grund haben vor allem die Werksteams oft mehrere Fahrzeugnasen für das gleiche Fahrzeug dabei. Diese gibt es teilweise in leicht unterschiedlichen Konfigurationen, um das Auto besser auf wechselnde Bedingungen (zum Beispiel nachts) einzustellen.

Cockpit und Kotflügel-Design

Beim Design von Cockpit und Kotflügel achten die Konstrukteure darauf, so wenig Luftwiderstand wie möglich zu bieten. Auch darum haben sich schon seit den sechziger und siebziger Jahren bei Prototypen meist abgerundete Frontscheiben für das Cockpit durchgesetzt. Nachdem seit Einführung der LMP-Kategorie die Radkästen bei diesen stärker abgesetzt sind, setzt sich dieser Trend dabei auch an dieser Stelle fort.

Auch bei GT-Fahrzeugen wird oft geschaut, dass man über eine intelligente Formgebung, meist schon beim Serienfahrzeug, den Luftwiderstand etwas senken kann. Während hier die Frontscheiben oft flacher sind, um am Serienfahrzeug normale Scheibenwischer einzusetzen, trifft es hier die Fahrzeugfront, welche beim Ferrari 458, aber auch bei der Corvette einen klaren Bogen aufweist. Die nicht abgesetzten Radkästen hingegen bleiben dem Serienfahrzeug in der Regel treu.

Seit 2012 müssen die LMP-Fahrzeuge noch größere Löcher in den Kotflügeln aufweisen, um einen Druckausgleich zwischen dem hohen Druck im Kotflügel und dem niedrigeren Druck darüber zu schaffen. Diese beeinträchtigen das Ziel den Luftwiderstand zu senken teils erheblich.

Bei den hinteren Kotflügeln gibt es seit dem Audi R18 den Trend, nicht unbedingt für minimalen Luftwiderstand zu optimieren, sondern durch die Form gezielt Luft auf den Heckflügel zu leiten. Dies erhöht dann wiederum dort den Abtrieb, auch wenn der Luftwiderstand leicht zunimmt.

Aerodynamische Effizienz als Messlatte

Will man das aerodynamische Design eines Fahrzeugs beurteilen, ist die wichtigste Messlatte meist die aerodynamische Effizienz. Das bedeutet letzten Endes, wie viel Abtrieb man mit wie viel Luftwiderstand bezahlt. Ziel ist es natürlich, immer möglichst viel Abtrieb, für hohe Kurvengeschwindigkeit und gleichzeitig möglichst wenig Luftwiderstand für mehr Höchstgeschwindigkeit zu haben.

Hier ist es aufgrund des Mauerns der Hersteller schwer an sichere Daten zu kommen, aber in der LMP-Klasse scheinen die Audi einen Vorsprung zu haben. So kamen die Audi 2011 bei vermutlich sehr ähnlicher Motorleistung auf nur etwas geringere Höchstgeschwindigkeiten als Peugeot, konnten diesen aber in den Porsche-Kurven regelrecht um die Ohren Fahren. Wie auch das spektakuläre Überholmanöver gegen Alexander Wurz in den frühen Morgenstunden zeigte. Auch Toyota scheint etwas hinterherzuhinken und hat sich für die WEC-Rennen nach Le Mans für einen anderen Ansatz entschlossen, indem sie einen als „Kotflügel“ getarnten Heckflügel über die volle breite des Fahrzeugs einsetzten, und ihren Hybridvorteil voll auszuspielen.