Davidson-Crash: Funktionieren die Finnen und Löcher?

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Nachdem im vergangenen Jahr die Heckfinnen an den LMP-Fahrzeugen eingeführt worden waren, dachte man, abhebende Fahrzeuge würden der Vergangenheit angehören. Dieses Jahr kamen auch die Löcher hinzu. Dennoch hob dieses Jahr wieder ein Prototyp ab.

Freud und Leid lagen für Toyota in Runde 83 des Rennens so dicht beisammen. Zuerst eroberte Nicolas Lapierre die Führung gegen den Audi von Benoît Tréluyer, dann aber der Megacrash von Anthony Davidson. Und die Regelmacher am Pranger. Obwohl die Heckfinne und die Kotflügellöcher das eigentlich verhindern sollten, begab sich wieder ein Sportwagen in luftige Höhen. Aber wie falsch lag der ACO wirklich?

Besondere Situation

Auch wenn die Szene viele zunächst an die Audi-Abflüge von Mike Rockenfeller und Allan McNish im vergangenen Jahr erinnerte gab es doch erhebliche Unterschiede. Zum einen fanden die beiden Audi-Crashs 2011 bei niedrigeren Geschwindigkeiten statt. So erreichen die Prototypen in den Porsche-Kurven, wo McNish abflog nur zirka 200 km/h, im Knick vor Indianapolis, in dem Rockenfeller abflog sind es ungefähr 250 bis 280 km/h. Anders bei Davidson. Die Stelle, an der dieser abhob, ist eine der schnellsten auf dem gesamten Kurs. Er dürfte beim Crash etwa 330 km/h auf dem Tachometer gehabt haben.

Alle drei Fahrer kollidierten vor ihrem Abheben mit Ferrari-Renner. Trotzdem haben die Szenen weniger gemein, als es auf den ersten Blick scheinen mag. McNish wurde im letzten Jahr in der Seite getroffen, währen Rockenfeller den Ferrari eigentlich nur streifte. Davidson hingegen wurde direkt am Hinterrad getroffen, welches dabei abriss. Aufgrund des Abtriebs am Heck und der tendenziell hecklastigen Gewichtsverteilung wurde die linke hintere Seite nach unten gedrückt, während die vordere rechte Seite ein Stück nach oben kam. Gleichzeitig wurde das Auto durch den Crash gedreht. Die Front bekam Unterluft und ab diesem Moment gab es kein Zurück mehr. Leider ist auf den verfügbaren Aufnahmen nicht klar zu erkennen, ob nicht sogar ein Kerb noch mit im Spiel war.

Vergleiche mit der Vergangenheit

Gerade mit Le-Mans-Prototypen hatte es in der Vergangenheit immer wieder Crashs gegeben, bei denen diese abhoben, sobald sie sich um annähernd 90 Grad gedreht hatten. Alle passierten bei hoher Geschwindigkeit. Hier hören aber die Gemeinsamkeiten schon auf.

Bei den Unfällen in Monza im Jahr 2008, die maßgeblich dazu führten, dass die Heckfinne eingeführt wurde, kamen die Autos von sich aus von der Straße ab und hoben schon sehr früh ab. Meistens waren beim Abheben sogar noch alle Räder vorhanden.

Die Unfälle des letzten Jahres und am vergangenen Wochenende wurden hingegen durch vorhergehende Kollisionen mit anderen Fahrzeugen ausgelöst. Ein GT-Auto ist dabei gute 200 Kilogramm schwerer als ein LMP, was bedeutet, dass die Aufprallenergie welche das Fahrzeug in die Drehung zwingt ungleich höher ist, als wenn man mit einem Rad aufs Gras kommt. Davidson hatte dabei noch besonderes Pech, dass es bei annähernd Höchstgeschwindigkeit passierte, was die aerodynamischen Kräfte noch weiter erhöhte.

Ganz anders waren hingegen die Abflüge der Mercedes im Jahr 1999 in Le Mans und verschiedene Abflüge von Porsche 911 GT1 in den USA, bei denen die Fahrzeuge in gerader Fahrtrichtung abhoben. Das scheinbar gleiche ist also oft etwas anderes

Wie soll das Abheben verhindert werden?

Die Heckfinne und die Kotflügellöcher stellen zwei unterschiedliche Mechanismen bereit um das Abheben unwahrscheinlicher zu machen. Die Aufgabe der Heckfinne ist es, ein quer kommendes Fahrzeug zum einen abzubremsen, zum anderen die Luft in Richtung Heckflügel zu leiten, wo sie Abtrieb erzeugen soll.

Die Löcher in den Kotflügeln sollen den Druckunterschied im Bereich der Radkästen verringern. Das rotierende Rad reißt Luft mit, welche im engen Radkasten einen Überdruck bildet, während gleichzeitig die über das Auto strömende Luft oberhalb der Radkästen Unterdruck bildet. Kommt nun das Auto quer verschärft sich die Situation insoweit, dass nun Luft von der Seite in den Radkasten geblasen wird, wo sie allerdings nicht weg kann und Überdruck bildet, die übrige Luft wird jedoch über den Radkästen geleitet und sorgt dort für Unterdruck. Die Löcher sollen nun hier für einen Druckausgleich sorgen und das Abheben vermeiden.

Schaut man sich die Bilder vom Warm-up in Le Mans an, kann man deutlich erkennen, dass die Gischt der Fahrzeuge aus den Kotflügellöchern spritzt und richtig nach oben fortgerissen wird. Es findet also tatsächlich ein Luftaustausch statt, es herrscht aber immer noch ein leichter Unterdruck oberhalb der Radkästen.

Warum waren die Maßnahmen nicht wirksam?

Dass die Heckfinne funktioniert zeigten im letzten Jahr die Unfälle von McNish und Rockenfeller, bei denen die Autos zwar leicht abhoben, aber Flach über den Boden flogen und nicht wie das Davidson-Auto aufstiegen und sich überschlugen. Davidsons Problem war dabei das fehlende Hinterrad, was zum Aufsteigen des rechten Vorderrades führte. Die vordere rechte Ecke des Fahrzeugs war aber diejenige, die bei seiner Drehung die Spitze des Fahrzeugs bildete. Dadurch kam Luft von vorne unter das Fahrzeug und riss es nach oben. Die Heckfinne hatte hier wenn überhaupt auf das Abheben sogar einen negativen Einfluss, da sie mehr Luft über den Heckflügel leitete und damit die hintere linke Ecke noch weiter nach unten gedrückt wurde.

Der Frontdiffusor war dabei keine Hilfe, da er ja wegen des Aufsteigens einen flacheren Anstellwinkel bekam und gleichzeitig weiter vom Boden entfernt wurde, was ebenfalls den erzeugbaren Abtrieb reduziert. Geholfen hätte vielleicht ein Frontflügel zwischen den Radkästen und der Nase, wie er zu Gruppe-C-Zeiten schon einmal üblich war.

Der Einfluss der Löcher lässt sich hier schwer bewerten, dürfte aber von der Tendenz her dem Abheben eher entgegen gewirkt haben. Der Crash zeigt aber nur einmal mehr, dass Motorsport gefährlich ist. Bei den in Le Mans erreichten Geschwindigkeiten wird es auch in der Zukunft wohl immer wieder zu Unfällen kommen, auch solche, bei denen Fahrzeuge abheben. Die aerodynamischen Kräfte die jenseits von 300 km/h wirken sind einfach zu stark.

Problematik der Mehrklassengesellschaft

Auch die Tatsache, dass Fahrzeuge aus verschiedenen Klassen und Amateurfahrer unterwegs sind, lässt sich nicht ändern, da es einfach zu Le Mans dazu gehört. Und solange Menschen fahren, werden Fehler gemacht, egal ob Amateur oder Profi.

Eine weitere Reduktion der Höchstgeschwindigkeiten könnte zwar dem Abheben selber entgegen wirken, dürfte aber nur dazu führen, dass noch mehr Zeit in den Kurven geholt werden müsste. Der Geschwindigkeitsunterschied auf den geraden zwischen den Fahrzeugen würde zwar abnehmen, in den Kurven würde er aber eher zunehmen. Gerade die Unfallstelle von Anthony Davidson zeigt dieses Problem schon jetzt. Davidson stand vermutlich noch voll am Gas, da der Abtrieb den Prototypen erlaubt, diese Kurve mit Vollgas zu nehmen und erst auf Mulsanne hin zu bremsen, während der Ferrari bereits für diese Kurve bremsen musste. Ein ähnliches Szenario erlebte gegen Rennende auch wieder Allan McNish, als er in den Porsche-Kurven dem Krohn-Racing-Ferrari ausweichen musste.