Nissan in Le Mans: Wo sind die Problemzonen?

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Nachdem Nissan bei der Vorbereitung auf den Langstreckenklassiker in Frankreich in Verzug geraten ist, glaubt in der Öffentlichkeit kaum mehr an einen überzeugenden Auftritt der Japaner in Le Mans. Doch nach starken Topspeed-Werten beim offiziellen Testtag an der Sarthe herrscht Uneinigkeit über die eigentlichen Probleme des Prototyps: Steckt mehr Potenzial im GT-R LM Nismo als erwartet?

 Dass Nissan mit der Vorbereitung auf die 24 Stunden von Le Mans ins Hintertreffen geraten ist, scheint allgemein kein Geheimnis mehr zu sein. In den letzten Monaten las man stets von zwar theoretisch unglaublichen Leistungskennziffern von bis zu zweitausend PS, allerdings schien der GT-R LM Nismo mit Problemen überhäuft zu sein. Neben Schwierigkeiten mit der Hitzeentwicklung und dem Hybridsystem spielte auch die Elektronik oftmals verrückt, wie auch beim offiziellen Testtag in Le Mans am vergangenen Sonntag.

Dass Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit kein Problem zu sein scheinen, das bewiesen die Japaner für einige sehr überraschend bei ebenjener Probefahrt. Mit einer gemessenen Höchstgeschwindigkeit von 336 Kilometern pro Stunde gehörte der Nissan zu den schnellsten Fahrzeugen im Feld und lag damit auch auf Augenhöhe des Porsche 919 Hybrid, der bislang als Klassenprimus in Sachen Höchstgeschwindigkeit galt. Das lässt möglicherweise einige Skeptiker ins Grübeln geraten.

Droht dem GT-R LM das Aston-Martin-Schicksal? 

Im Vorfeld zum ersten Aufeinandertreffen mit der deutsch-japanischen Konkurrenz am Ort des Geschehens in Le Mans prophezeiten viele dem GT-R LM Nismo das gleiche Schicksal, dass schon im Jahre 2011 Aston Martin mit dem AMR-One ereilte. Das Fahrzeug war aerodynamisch absolut konkurrenzfähig, hatte aber starke Probleme mit dem Antriebsstrang. So kam es, dass beide LMP1-Boliden die erste Viertelstunde des Rennens nicht überstanden. 

Nissan geht einen noch extremeren Weg. Der erste Renneinsatz des GT-R LM findet direkt beim Saisonhöhepunkt in Le Mans statt. Nach sehr schwachen Rundenzeiten beim Testtag, aber sehr konkurrenzfähigen Werten in puncto Höchgeschwindigkeit bleibt nun die Frage offen: Was können die Japaner wirklich? Der über die Vorderräder angetriebene Bolide scheint Kurvenfahrten momentan nicht wirklich zu mögen. Aber dass dies eine halbe Minute kostet und die Rundenzeit damit oftmals nur zehn Sekunden unter denen der GT-Fahrzeuge lag, fällt dem objektiven Betrachter schwer zu glauben.

„Wir haben heute keine Zeitenjagd veranstaltet“, meinte Teamchef Ben Bowlby nach dem Abschluss des Testtags. „Es ging ausschließlich um das Datensammeln und Lernen als Teil unserer Vorbereitung auf Le Mans. Am Ende des Tages waren wir bei den feuchten Bedingungen vorne dabei und sicherten uns in der Sitzung am Morgen die beiden besten Topspeed-Werte.“ Dabei war die Strategie bei Nissan klar: die Autos mussten unbeschädigt bleiben.

Zufriedenheit nach dem Testtag

„Die Autos liefen bemerkenswert gut. Wir sind daher sehr zufrieden mit der Gesamt-Performance des Autos. Das wichtigste war, dass am Ende des Tages drei unversehrte Autos in den Garagen standen, mit intakten Motoren“, erklärt Bowlby die konservative Herangehensweise des Teams beim Testtag. „Wir haben unsere Fahrer instruiert, super konservativ an die Sache heranzugehen und konnten insgesamt mehr als 1 500 Kilometer an Erfahrung, unsere erste Erfahrung in Le Mans, sammeln. Daher denke ich, dass unsere Situation nicht so schlecht aussieht, wie es vielleicht das Zeitentableau hergibt.“ 

Dass Nissan nicht um den Gesamtsieg kämpfen wird gilt als ziemlich sicher. Zu unvorbereitet und unausgewachsen scheinen die Autos zu sein. Aber dass das aktuelle Gesamtpotenzial des Autos noch nicht ganz aufgedeckt wurde, das scheint ebenfalls gut möglich zu sein. Die Hoffnung der Nissan-Fans, dass ein Achtungserfolg gelingen könnte, scheint demnach nicht gänzlich ausgeschlossen zu sein. Und dass das Rennen zweimal um die goldene Rolex auf dem Traditionskurs in Frankreich seine eigenen Regeln macht, ist wohl mehr als bekannt.