LMP2 in Le Mans: Heimliche Spitzenklasse

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Die LMP2-Sparte entpuppt sich als Nutznießer der anstehenden Übergangssaison. Das Le-Mans-Unterhaus verbucht neuerlich Rekordstarterzahlen und nimmt sukzessive einen professionellen Charakter an. Doch solch eine Entwicklungen stößt ebenso auf negative Resonanz.

Ein Indikator für die bevorstehende Übergangssaison ist der Teilnehmerschwund in der Le-Mans-Königsdisziplin. Das diesjährige LMP1-Feld beim 24-Stunden-Rennen wurde auf acht Boliden dezimiert; fünf sind es in der Langstrecken-WM. Unterdes profitiert jedoch die LMP2-Kategorie von der Regression in der ACO-Beletage und quellt auf zur heimlichen Spitzenklasse im Le-Mans-Sektor.

Bereits seit vergangenem Jahr zeichnet sich im Prototypen-Unterhaus ein Trend ab: Die Starterzahlen schnellen in rekordverdächtige Höhen und steigen heuer erneut von 20 auf 22 Rennfahrzeuge an. Eine Begleiterscheinung dieser Entwicklung ist die zunehmende Professionalisierung der LMP2-Riege, welche mit dieser Tendenz einhergeht. Allein acht der bis dato bestätigten Piloten wurden seitens der FIA als Platinfahrer eingestuft. Auch der Silberkategorie mangelt es nicht an Akteuren – zehn sind es in Summe.

Insbesondere für den Saisonhöhepunkt an der Sarthe rüsten die Rennställe auf. Das ELMS-Team Jota Sport hat für das Traditionsrennen in Westfrankreich den ehemaligen Porsche-Werksfahrer Lucas Luhr verpflichtet. Der Koblenzer teilt sich das Zytek-Lenkrad mit dem aufstrebenden Formel-Talent Oliver Turvey und Routinier Simon Dolan. Die Konkurrenz rekrutiert ihre Kader auf ähnliche Weise.

Sébastien Loeb Racing hat beispielsweise den ehemaligen Peugeot-Werksfahrer Franck Montagny als ersten Schützling für den Le-Mans-Schlager aufgestellt. Lotus vertraut wiederum auf den Ex-Formel-1-Autler Vitantonio Liuzzi sowie Testfahrer James Rossiter. Indes legt auch Oak Racing seinen Schwerpunkt auf die kleine Prototypen-Division, nachdem die französische Equipe ihr LMP1-Programm eingestellt hat. Dabei besetzt das Eichengespann jeweils ein Fahrzeug mit einem Vollprofi: Olivier Pla und Bertrand Baguette.

Zwiespalt: Professionalisierung einer Amateurwertung

Dieser Aufwind verursacht ambivalente Reaktionen. Einerseits wird die LMP2-Klasse zum Aushängeschild des ACO; andererseits führt er das Konzept eines semiprofessionellen Wettstreits ad absurdum. Unlängst wird in der LMP2-Sparte Motorsport auf enorm hohen Niveau betrieben. Die LMP2 ist beileibe auch kein Eldorado mehr für ambitionierte Kleinhersteller – Konstrukteure wie Lucchini, Pilbeam oder Durango sind von der Bildfläche verschwunden. Stattdessen dominieren Oreca, Zytek und Lola das Bild. Zudem vertrauen die Gespanne ausschließlich auf die Motorisierung von Judd und Nissan. Eine Ausnahme stellen Honda und Lotus dar. 

Gewiss wird besagte Tendenz sich in naher Zukunft wieder rückläufig entwickeln, sobald das neue Reglement wieder einen Zuwachs in der LMP1-Klasse begünstigt. Doch eine derlei professionelle LMP2-Division als Teil der Langstrecken-WM – obgleich kein LMP2-Weltmeistertitel ausgeschrieben wird – benötigt eine solide Basis: die kontinentalen Wettbewerbe ELMS, ALMS und ASLMS. Denn wer rückt auf, wenn eine Mannschaft abspringt? Sei es aus finanziellen Gründen oder sportlicher Perspektive. 

Ein Ligasystem wäre denkbar. Der ACO selbst beschreibt das Konstrukt als Pyramide. Die Le-Mans-Serien ELMS, ALMS und ASLMS bilden drei Säulen mit den 24 Stunden von Le Mans und der Langstrecken-WM als Spitze. Zweifelsohne hat der Automobilklub des Westens das sinkende Schiff „ELMS“ wieder in seichte Gewässer geführt. Gleichsam hat der Automobilverband die Weichen für eine erfolgreiche Debütsaison der ASLMS gestellt. Das Sorgenkind bleibt jedoch die ALMS. 

Einzig Extreme Speed Motorsports bekennt sich mit Honda zur zweiten Prototypen-Kategorie, da die GTE-Bühne mittlerweile den Hersteller und ihren werksunterstützten Auftritten gehört. Level 5 Motorsports hielt sich wiederum die Option offen, neuerlich in den LMP2-Wettstreit einzusteigen – falls sich ein Gegner findet. Schließlich spielte das Honda-Ensemble im letzten Jahr den Alleinunterhalter. Mit ESM Racing hat sich ein Rivale gefunden. Darüber hinaus liebäugelt Conquest Racing mit einem erneutem LMP2-Engagement. Dennoch herrscht weiterhin Misere, und der ACO hat die Zukunft dem Nascar-Imperium überlassen.

Nichtsdestotrotz: In der anstehenden Saison kündigt sich ein Kopf-an-Kopf-Wettlauf um die LMP2-Krone ab. Außerdem: Es sind noch zahlreiche Profifahrer auf dem Markt, und ein Gros der Cockpits sind noch vakant.