LMP2 in Le Mans: Die Kleinen ganz groß

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Alle Welt schaut bei der diesjährigen Ausgabe der 24 Stunden von Le Mans auf das Duell der Werksteams von Audi und Toyota. Doch auch die kleine Prototypenklasse LMP2 boomt, und die Werke haben sie als Plattform entdeckt, sich an der Sarthe mit vergleichsweise geringem Aufwand zu präsentieren.

Die kleine Prototypenklasse galt in Le Mans lange als Auffangbecken für Hinterhof-Garagen und Bastelbuden, die selten in der Lage waren, die 24 Stunden unbeschadet zu überstehen. Mittlerweile hat sich in dieser Hinsicht einiges geändert. Große Hersteller wie Nissan, Honda und BMW haben die Klasse für sich entdeckt. Sei es als Fingerübung für einen etwaigen Einstieg in die Königsklasse LMP1, als geldbringendes Kundensport-Projekt oder wie im Fall BMW als Lieferant der vorgeschrieben Serienbasis für den Rennmotorenbauer Judd.

Die neuen Regeln haben dafür gesorgt, dass die Renner zuverlässiger wurden, sodass berechtigte Hoffnung besteht, dass beim Zieleinlauf am Sonntag auch einige Protagonisten der zweiten Liga zu bejubeln sind. Eine Einschätzung der Teams ist jedoch äußerst schwierig. Das Reglement schreibt nämlich auch vor, das in jedem Team ein Silber- oder Bronze-Fahrer dabei sein muss und dieser mindestens vier Stunden des Rennens am Steuer hantieren muss.

Die nackten Zahlen

Nicht weniger als 20 LMP2-Prototypen werden den Langstreckenklassiker unter die ausschließlich Dunlop bereiften Räder nehmen. Die Chassis kommen von sechs unterschiedlichen Herstellern und es kommen drei verschiedene Motoren zum Einsatz. Zahlenmäßig dominiert Oreca auf der Chassis-Seite mit acht Wagen. Nissan stellt die meisten Motoren. Ganze 13 Teams vertrauen auf die Power der Japaner.

Die beiden bisherigen Läufe der Langstrecken-Weltmeisterschaft haben gezeigt, dass die Klasse eng beieinander liegt. Über die Hälfte des Le-Mans-Feldes in dieser Klasse wird sich um die Podiumsplätze prügeln. Der Testtag hat überdies zu Tage gebracht, dass die besten LMP2-Teams bei der durchschnittlichen Rundenzeit nahe bei den LMP1-Benzinern liegen.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Honda-Teams. Das Modell HPD-ARX 03b, wie der Japaner offiziell heißt, ist mit zwei Startern vergleichsweise bescheiden vertreten. Allerdings streben beide Teams eine Platzierung ganz weit vorne an. Starworks machte Anfang des Jahres in Sebring auf sich aufmerksam. Neben dem Klassensieg stand die Truppe auch gleich hinter den beiden Audis auf dem Gesamtpodium.

Beim Le-Mans-Testtag fiel die Truppe dann wieder auf. Diesmal jedoch, weil Enzo Potolicchio mit seinem Crash in der Dunlop-Schikane für den Abbruch des Testtages sorgte. Gerade der Venezuelaner könnte aber der Schlüssel zum Erfolg sein. Unter den Privatfahrern zählt er zu den stärkeren. Der Weggang von Ex-Peugeot-Mann Stéphane Sarrazin zu Toyota traf die junge Truppe hart. Aber in Tom Kimber-Smith hat man einen würdigen Ersatzmann gefunden. Der Brite holte bei drei Starts an der Sarthe zwei Klassensiege.

Die Markenkollegen von Level 5 müssen ohne den ursprünglich für den Einsatz vorgesehen Franck Montagny auskommen. Nachdem der Ex-Peugeot-Fahrer den Wagen des Teams in Laguna Seca geschrottet hatte, war man sich ob der Schuldfrage in die Haare geraten. Man ging daraufhin getrennte Wege.

Nissan – Masse und Klasse

Die größte Konkurrenz für die starken Honda-Teams kommt von den Landsleuten aus dem Hause Nissan. Die werksunterstützte Signatech-Truppe vertraut auf ein Chassis von Oreca. Allerdings läuft das Team bislang den eigenen Ansprüchen hinterher. Magere sechs Punkte in der Teamwertung stehen nach zwei WEC-Läufen auf dem Konto der Mannschaft.

Die beiden Gulf Racing Middle East-Lola-Coupes sind zwar hübsch anzusehen, fielen aber bisher nur durch technische Probleme, Ausrutscher und Zeiten am unteren Ende der Klassentabelle auf. Zudem fällt einer der Stammfahrer durch ein Missgeschick in Spa aus. Frédéric Fatien schaffte es tatsächlich, sich beim üben des Fahrerwechsels den Knöchel zu brechen.

Greaves Motorsport rollt zwei Nissan befeuerte Zytech Z11SN an den Start. Einen der beiden wird sich der GT-Academy-Gewinner und ILMC-LMP2-Titelträger Lucas Ordoñez mit dem Sieger von 1990 Martin Brundle und dessen Sohn Alex teilen. Diese Kombination ist sicherlich einer der Anwärter für den Kampf um den Klassensieg.

Ein weiterer Zytek-Nissan kommt von Jota. Sam Hancock und Simon Dolan gewannen ihre Klasse in Spa. In den Ardennen zeigte Dolan, dass er zu den schnelleren der Gentlemendriver gehört. Klar, dass man ebenfalls zum Kreis der Favoriten gehört. Dritter im Bunde für Le Mans ist Haruki Kurosawa, der früher schon erfolgreich für Jota unterwegs war.

Oak-Racing hat nach dem WM-Lauf in Spa entschieden, für eins der beiden Chassis von BMW-Judd auf Nissan-Power umzusteigen. Bas Leinders und vor allem David Heinemeir-Hansson, der Amateur im Team, waren in Spa ordentlich unterwegs. Beim 24-Stunden-Rennen stößt Maxime Martin als dritter Mann dazu. Der junge Belgier hat momentan einen Lauf und egal, wo er Antritt, sorgt er für staunende Gesichter. Den Morgen-Nissan sollte man im Auge behalten.

Ganze fünf Teams haben sich für die Kombination Oreca-03-Chassis und Nissan-Power entschieden. ADR-Delta kommt mit dem Rückenwind der WEC-Tabellenführung an die Sarthe. Einziger Wehrmutstropfen war eine vermurkste Boxenstopp-Strategie in Spa, die das Team letztlich den Sieg kostete.

Boutsen Ginion und Thiriet by TDS Racing feiern ihre La Mans-Premiere. Letzgenannte Truppe ist mit dem schnellen Teameigner Pierre Thiriet als Amateur, Mathias Beche und Ex-Pescarolo-Mann Christophe Tinseau äußerst stark besetzt, wenngleich Tinseau auf dem LMP2 bislang nur wenig Erfahrung sammeln konnte.

Murphy Prototypes setzte in Spa mit einem Platz auf dem Podium ein Ausrufezeichen. Auch die Iren sollte man im Auge behalten. Der Kurs dürfte in Richtung Podium gehen. Auch Pecom Racing wechselte Anfang des Jahres von ihrem 2011er Lola-Judd-Einsatzgerät auf einen Oreca-Nissan. AF Corse als Einsatzteam, Pierre Kaffer und Soheil Ayari sind eine Bank. Ein Fragezeichen steht sicher hinter der Performance des Gentlemans im Team Luis Perez-Companc.

Britisch-bayerische Allianz

Fünf Teams vertrauen auf den BMW-basierenden Judd-Antrieb. Oak Racing stattet heuer seine beiden unter dem Morgan-Banner rennenden Pescarolo-Chassis mit zwei unterschiedlichen Motoren aus. Während das Kundenfahrzeug auf das Nissan-Triebwerk umgebaut wurde, bleibt man im Werkswagen weiter bei dem BMW basierenden Judd-Motor. Olivier Pla, der in Sebring beim Saisonauftakt die schnellste Zeit im Training markierte, teilt sich den Sitz mit Teamchef Jacques Nicolet und Matthieu Lahaye. Zumindest, wenn Pla am Steuer dreht, wird der offene Sportwagen im Gulf-Design mit bei der Musik sein.

Status Grand Prix hatte eine schlimme Schrecksekunde in Spa, als Alexander Sims den Wagen ausgangs Eau Rouge kalt verformte. Zum Glück war das Lola-Chassis unverletzt. Bei der derzeitigen Situation des britischen Rennwagenbauers wäre eine Ersatzbeschaffung sicherlich kompliziert gewesen. Von den beiden Lotus-Judd, die in Spa zu sehen waren, steht nur einer auf der Starterliste für die 24 Stunden. Der zweite Wagen schaffte es lediglich auf die Ersatzliste.

Extrême Limite bringt mit Norma einen weiteren Chassis-Hersteller an die Sarthe. Die Chancen für das kleine Team auf einen Podiumsplatz liegen in etwa bei der einer Kugel Erdbeereis auf dem Grill. Die Truppe dürfte eine Zielankunft wie einen Sieg feiern. Ähnlich ist die Situation bei Race Performance einzuschätzen. Die Schweizer setzen den einzigen Oreca 03 ein, der nicht durch Nissan-Power befeuert wird.