HTTT-Geschwindigkeiten: Pescarolo und Nissan bestehen Hunaudières-Feuertaufe

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In Le Castellet wurden die Akteure in vielerlei Gesichtspunkten auf ihre Le-Mans-Kondition geprüft. Denn die Mistral-Geraden des Paul Ricard HTTT simuliert hinsichtlich der Geschwindigkeit Bedingungen ähnlich der Hunaudières. Pescarolo und Nissan brillierten, Porsche sorgte für eine Überraschung.

Endlose Geradeausstücke auf abgesperrten Landstraßen, die lediglich durch zwei Schikanen getrennt werden, und eine nicht minder unaufhörlich erscheinende Vollgaspassage gen Arnage: Die über sechs Kilometer lange Hunaudières-Geraden und die entartete Parabolika nach der Mulsanne-Kurve, welche die Nadel auf dem Tachometer stets ans Limit pirschen, sind ein unverwechselbares Charakteristikum für den Circuit de la Sarthe. Ergo spielen hohe Geschwindigkeiten bekanntlich seit jeher eine zentrale Rolle bei den 24 Stunden von Le Mans.

Dem sind sich logischerweise auch die Protagonisten bewusst, weshalb die Akteure bereits in Le Castellet sporadisch auf die Höchstgeschwindigkeiten ihrer Boliden schielten. Die moderne Teststrecke in der Provence, wo an sämtlichen Ecken und Enden Messgeräte installiert sind, um allerorten Messwerte über die Fahrzeuge zu sammeln, war bereits Schauplatz der LMS-Probefahrten im März und des Saisonauftaktes selbiger Meisterschaft. Folglich liegen bereits erste Daten zur Standortbestimmung in puncto Geschwindigkeit vor, die unter Umständen bereits einige Aufschlüsse hinsichtlich des anstehenden Le-Mans-Testtags diesen Sonntag antizipieren.

Schließlich stellt es keine Seltenheit dar, wenn sich manch Rennflunder auf winkligen Kursen mit Bravour um die Kurven zirkelt, der Pilot in Le Mans jedoch ausschließlich ein Panorama der gegnerischen Heckpartie genießt. Die Ergebnisse vom Aufgalopp in Südfrankreich liefern allerdings in der Königsdisziplin LMP1 ein glasklares Bild: Die Pescarolo-Mannschaft bestimmte bei ihrem Durchmarsch auch auf der sich knapp fast zwei Kilometer erstreckenden Mistral-Geraden das Tempo. Letztlich knackte der Pescarolo-Judd als einziger Wettstreiter die Schallmauer von 300 km/h, wenn auch nur mit Ach und Krach.

Im Gegensatz zur Konkurrenz: Jene war von dem Knall noch meilenweit entfernt. Als flottester Verfolger wagte sich bloß der Zytek 09SC mit 297,5 km/ an besagte Marke heran. Bei Rebellion Racing mussten sich die Verantwortlichen dagegen noch mehr Eingeständnisse im Hinblick auf das Tempo machen. Die Toyota-Aggregate, verbaut im Lola B10/60 Coupé, bewegten sich bloß im Bereich von 293 bis 295 Kilometer in der Stunde. Dabei handelte es sich aber vergleichsweise um Nuancen in Anbetracht der Resultate von Aston Martin Racing. Das verkorkste Debüt des AMR-One, spiegelte sich auch im Topspeed wider. Der neue Dieseljäger erzielte nur einen Höchstwert von ernüchternden 279 km/h.

Ein direkter Vergleich mit den erreichten Geschwindigkeiten auf der „Route départementale“ D338 in Le Mans erwiese sich an dieser Stelle allerdings nicht als zielführend, da die Messpunkte an vollkommen unterschiedlichen Stellen platziert sind. Demnach kratzten die Löwen im letzten Jahr bereits an der Hürde von 350 km/h. Die Rebellen kämpften wiederum mit der 330-km/h-Latte, während sich die Renner aus dem Hause Aston Martin irgendwo dazwischen tummelten.

Nissan in allen Belangen Klassenprimus

Auf leisen Sohlen startete Nissan seine Invasion auf das Prototypen-Geschäft und demontierte beim Saisonstart nahe der Côte d’Azur die Arrivierten samt und sonders. Das neue Aggregat des japanischen Konstrukteurs überzeugte durch Beständigkeit, schnelle Rundenzeiten und letztlich auch in Sachen Höchstgeschwindigkeit. Als ein enorm relevanter Aspekt entpuppte sich allerdings die Karosserie. Greaves Motorsport verpflanzte seinen Nissan-Antrieb in einem Zytek Z11SN und hatte damit die Nase vorne: 283,5 km/h wurden vermerkt.

Auf diesem Wege knöpfte das britische Gespann den Markenkollegen von Boutsen Energy Racing immerhin drei km/h ab. Letztgenannte verkleiden ihren Motor wiederum mit dem neuen Oreca 03-Chassis, selbiges gilt für TDS Racing. Apropos Oreca: Die Traditionsmarke brauchte sich mit seinem neusten Schmuckstück ebenfalls nicht zu verstecken. Neben den beiden erwähnten Nissan-Teams, die definitiv bei der Musik waren, hat Race Performance einen der bewährten Judd-Motoren im Oreca 03 verbaut. Mit dieser Kombination schaffte es das Ensemble auf 279,1 und den dritten Rang in der LMP2-Topspeed-Wertung.

Für Verblüffung sorgt dagegen Extrême Limite AM Paris. Der Norma M200P-Judd agierte als Underdog mit 278,4 km/h auf Augenhöhe mit den Frontfahrzeugen und rangierte im Klassement an vierter Stelle. Die HPD-Aggregate aus der Honda-Sportwagenabteilung erwiesen sich dagegen als überhaupt nicht Le-Mans-tauglich. Die beiden ARX-0d1, in der Obhut von Ray Mallock Ltd. Racing und Strakka Racing, überwunden mit Hängen und Würgen die Hürde von 270 km/h.

Zwar startet die Formula Le Mans nicht beim Langstrecken-Schlager an der Sarthe, aber ein Vergleich der Höchstgeschwindigkeiten zu den anderen Divisionen ist ebenfalls interessant. Als Überflieger behauptete sich Genoa Racing und erzielte einen Höchstwert von 275,5 km/h, womit sich Schützling Elton Julian unter die LMP2-Fahrer mischte.

Verkehrte Welt in der GTE

Im Gran-Turismo-Sektor wurde die Hackordnung hingegen vollständig auf den Kopf gestellt. In der GT Endurance, welche in Profis und Amateure unterteilt ist, war es nämlich keiner der Experten, der seinen Wagen am schnellsten über die Mistral-Geraden bugsierte. Stattdessen stieß Nicolas Armindos Bleifuß im Porsche 997 GT3 RSR (IMSA Performance Matmut) mit 274,8 km/h an die Grenzen seines Arbeitsgerätes und gab somit das Tempo unter den GT-Kutschern vor. Und das war noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Zwar peitschte Dominik Farnbacher das italienische Pferd auf 274,1 km/h und rettete die Ehre des neuen Ferrari F458 Italia (Hankook Team Farnbacher), doch zwei Kontrahenten aus der Amateurliga waren mit ihm gleichauf. Der Ferrari-Jahreswagen F430 von CRS Racing sowie der Porsche 997 GT3 RSR von Felbermayr-Proton erzielten denselben Topspeed. Die restlichen Repräsentanten der GTE-Am waren offensichtlich nicht auf Höchstgeschwindigkeit getrimmt, denn weitere Wagen mit Profibesatzung waren weit abgeschlagen.

Werksfahrer Richard Lietz stürmte den Geradeausabschnitt mit 272,7 km/h entlang, während die anderen internen Rivalen mit Mühe die 270-km/h-Marke packten beziehungsweise erst gar nicht in solch luftige Höhen aufbrachen. Mit Abstand am langsamsten war dagegen der Aston Martin Vantage. Young Driver AMR ließ sich 265,4 km/h notieren und Jota sogar nur 264,7 km/h, was allerdings nicht unvorhersehbar war. Der britische Brummer stotterte bereits letztes Jahr in Le Mans den Konkurrenz hinterher und war mit 275 km/h abgeschlagenes Schlusslicht.

Soweit lassen sich die Daten auf dem Papier bilanzieren. Doch im Département Sarthe weht noch einmal ein ganzer anderer Wind als in der Provence. Und wie sich die Fahrzeuge tatsächlich auf den Bodenwellen der Hunaudières-Geraden schlagen, wird sich zeigen. Diesen Sonntag steht der traditionelle Le-Mans-Testtag auf dem Circuit de la Sarthe auf dem Programm, dann können die Teilnehmer neuerlich Daten und Erfahrungen mit ihren Arbeitsgeräten für den Stichtag im Juni sammeln.