Le Mans: Toyota in aussichtsloser Position?

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Ist Toyota in Le Mans derlei chancenlos, wie die Testergebnisse vom Sonntag vermuten lassen? Schließlich desavouierte Audi seine Rivalen aus Fernost förmlich. Doch beide Parteien sträuben sich, eine Prognose für den Stichtag am übernächsten Wochenende zu formulieren. Strategie und Verbrauch werden eine Schlüsselrolle spielen.

Nach den Einstellfahrten auf dem Circuit de la Sarthe drängt sich im Hinblick auf die 24 Stunden von Le Mans unweigerlich eine Frage auf: Befindet sich Toyota auf aussichtslosem Posten? Schließlich deklassierte Titelverteidiger Audi die Leistung seiner Herausforderer aus dem Land der aufgehenden Sonne regelrecht. Sowohl auf regennasser Fahrbahn als auch auf trockener Piste erzielte die Ingolstädter Abordnung frappant schnellere Umläufe.

Der Vergleich der Rundenzeiten ist alarmierend. Bereits in der Vormittagssitzung betrug die Differenz zwischen der Audi-Speerspitze und dem flottesten Toyota-Verfolger über drei Sekunden. Werksfahrer Loïc Duval umkurvte den Traditionskurs im Nordwesten Frankreichs trotz nasser Streckenverhältnisse in 3:46,277 Minuten. Am Nachmittag zeigte Duval den Kontrahenten aus Fernost letztlich mit einer Fabelzeit die Grenzen auf – und zwar in aller Deutlichkeit.

Der Lokalmatador umkreiste die Kombination aus permanenter Rundstrecke und abgeriegelter Landstraße in 3:22,583 Minuten, womit Duval gar die Bestzeit aus der letztjährigen Qualifikation um über eine Sekunde unterbot. Toyota verzeichnete letzten Endes Rückstände von fünf respektive sieben Sekunden. Doch die Schützlinge des pazifischen Konstrukteurs zeigen sich unbeeindruckt. „Rundenzeiten waren heute nicht die Priorität, wir werden abwarten müssen und sehen, wo wir in zwei Wochen dann stehen“, beschwichtigt Anthony Davidson.

Audi testet verschiedene Reifendrücke

Im Audi-Lager herrscht gleichermaßen Skepsis hinsichtlich der Konstellation nach dem Le-Mans-Testtag. „Wir sind zum Testtag gekommen, um verschiedene Programme abzuarbeiten und dabei etwas zu lernen“, betont Audi-Motorsportchef Doktor Wolfgang Ullrich und verweist auf die wechselhaften Gegebenheiten. „Durch das unstete Wetter konnten wir leider bei weitem nicht alle geplanten Optionen ausprobieren. Erst gegen Ende wurde es trocken.“ 

Die Audi-Ingenieure erprobten am Sonntag beispielsweie verschiedene Konfigurationen der neuen Langheck-Variante des R18 e-tron quattro, um die ideale Abstimmung für den Hochgeschwindigkeitskurs an der Sarthe zu finden. Zudem variierten die Techniker den Luftdruck der Regenreifen, um eine Gegenüberstellung zwischen einer Runde auf der 13,629 Kilometer messenden Rennbahn und längeren Distanzen vorzunehmen. 

Als der Asphalt am Nachmittag sodann abtrocknete, zogen die Mechaniker endlich Trockenreifen auf. „Zum Schluss fand Loïc Duval eine freie Runde, und ihm gelang die Bestzeit. Aber erst im Rennen werden wir wirklich sehen, wo wir stehen“, fasst Ullrich zusammen. Duval sorgte ferner für eine Schrecksekunde bei den Bayern, als der Franzose während der ersten Sitzung in der Kurve Tertre Rouge mit der Barriere kollidierte. Sein Dienstwagen konnte allerdings für den zweiten Durchgang wieder hergerichtet werden.

Die alten Fotostrecken sind leider nicht mehr verfügbar.

„Schwer zu sagen, wo wir stehen“

Die Konkurrenten aus Köln betrachten das Resultat indes nüchtern. „Unser Ziel heute war es, die vorhandene Zeit optimal zu nutzen, und das taten wir“, unterstreicht Team-Präsident Yoshiaki Kinoshita. „Wegen der Wetterlage konnten wir nicht alles erledigen, was wir uns vorgenommen hatten.“ Zugleich räumt der Kopf der Toyota-Mannschaft allerdings ein: „Dennoch, wir haben noch so einiges an Arbeit vor uns in den kommenden Tagen, um weitere Steigerungen zu erzielen.“ 

Mit den beiden TS030-Hybrid-Rennern verfolgte der japanisch-deutsche Rennstall zweierlei Ziele: Alexander Wurz, Nicolas Lapierre und Kazuki Nakajima prüften im Prototyp mit der Bezifferung sieben verschieden Aerodynamik-Pakete, während die Stallgefährten Davidson, Sébastien Buemi und Stéphane Sarrazin am Schwesterfahrzeug mit der Startnummer acht wiederum unterschiedliche Reifenmischung aufzogen.

Überdies verrichteten die Toyota-Techniker Detailarbeiten am Hybridsystem. „Wir haben viel an Aerodynamik und Abstimmung gearbeitet, also haben wir da viel dazugelernt“, resümiert Lapierre, gesteht aber: „Schwer zu sagen, wo wir stehen, denn wir wissen ja nicht, was die anderen testeten. Das Auto lief jedenfalls sehr zuverlässig und wir müssen jetzt das Datenmaterial im Hinblick auf das Rennen analysieren.“ 

Kann Toyota den Nachteil mittels Tankstopp-Strategie ausgleichen?

Zudem griffen die ACO-Regelmacher schon im Vorfeld des traditionellen Testtages in den Wettstreit zwischen den Antagonisten Audi und Toyota ein. Denn nach den Wertungsläufen der Langstrecken-WM in Silverstone und Spa-Francorchamps hatte Toyota-Technikchef gefordert, der Veranstalter solle das Kräfteverhältnis austarieren. Darüber hinaus habe Audi sein wahres Potenzial verschleiert. Der Automobilklub des Westens reagierte umgehend auf das Lamento Toyotas. 

Darum durften die Japaner bereits beim Le-Mans-Test das Tankvolumen ihres Hybrid-Prototyps von 73 auf 76 Liter vergrößern. Somit eröffnet sich Toyota womöglich die Option die langsameren Rundenzeiten im Rennen mittels längeren Schichten und weniger Stopps zu kompensieren. Da jedoch keiner der Akteure mehr als zehn Umläufe am Stück drehte, lassen sich in dieser Hinsicht noch keinerlei Aussagen treffen. „Die Rundenzeiten sagen wenig aus, wir müssen aber durchaus noch zulegen“, bemerkt Wurz. 

Für Toyota und Audi heißt es fortan, noch letzte Feinschliffe vor dem Langstrecken-Klassiker zu tätigen „Wegen der Bedingungen und auch dem regen Verkehr, hatten wir keine einzige perfekte Runde, doch bleibt noch einiges an Arbeit zu tun, um unsere Chancen im Rennen zu erhöhen“, bilanziert Buemi. „Wir spulten über 1 150 Kilometer ab, also haben wir eine Menge Datenmaterial, das wir vor der Rennwoche noch aufzuarbeiten haben, als wird das Team in den nächsten Tagen noch recht viel zu tun haben.“