Langstrecken-WM: Ebenbürtiges Hybrid-Duell im Oberhaus

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Die Premieresaison der Langstrecken-WM wurde zur Bühne des technologischen Wettstreits. Toyota legte dabei seine Reifeprüfung im Prototypen-Oberhaus ab. Audi verteidigte wiederum seinen Primat in der Sportwagenbranche. Wie sieht die Zukunft des neuen Championats aus?

Es war eine Zäsur im Sportwagensektor. Anfang Juni des letzten Jahres verkündeten der Automobilklub des Westens und die Kollegen vom FIA-Weltverband zur Verblüffung der Szene eine Gemeinschaftsprojekt: die Reanimation der Sportwagen-WM im Folgejahr. Zwei Dezennien, nachdem dieses prestigeträchtige Championat an den Unstimmigkeiten besagter Parteien zerbrach, erfolgte in Barcelona der Schulterschluss. Fortan sollte wieder ein globaler Wettbewerb rund um die 24 Stunden von Le Mans entstehen – in Form der Langstrecken-Weltmeisterschaft.

Ein ambitioniertes Vorhaben der beiden Veranstalter, welche seit geraumer Zeit in einem argwöhnischen Verhältnis zueinander stehen. Doch seit vergangenem Sonntag ist die Debütsaison der Langstrecken-WM Geschichte, die zugleich eine neue Ära im Rennsport einleitete: Die Langstrecken-WM genießt zweifelsohne eine Vorreiterrolle hinsichtlich seines Wettstreits der verschiedenen Hybridtechnologien.

Denn im Zentrum der Langstrecken-WM stand fraglos das Duell der konkurrierenden Hybridsysteme von Audi und Toyota. Dabei bestand der Novize aus Fernost seine Feuertaufe bravourös und erwies sich dem etablierten Autobauer aus Ingolstadt als ebenbürtig. Nichtsdestoweniger heimste der sieggewohnte Hersteller mit den vier Ringen den Weltmeistertitel sowohl in der Fahrer- als auch Herstellerwertung ein. Eine solch mustergültige Bilanz ziehen die Audianer allerdings lediglich aufgrund der Startschwierigkeiten im Hause Toyota und der Querelen beim ehemaligen Erzrivalen.

Peugeot zieht sich zurück, Toyota gerät in Verzug

Bereits vor Saisonbeginn ereilte die Sportwagengemeinde die erste Hiobsbotschaft. Jedweder Bemühungen zum Trotz fiel auch Peugeot der wirtschaftlichen Konjunktur zum Opfer und musste sein Le-Mans-Engagement einstellen. Somit wurde aus dem erwarteten Dreikampf ein Duell zwischen Audi und Toyota. Das erste Stelldichein der Hybrid-Avantgarde musste jedoch vorzeitig vertagt werden, da sich der Zeitplan der Japaner aufgrund eines Zwischenfalls beim Testen verzögerte. 

Toyota-Werksfahrer Nicolas Lapierre verunfallte mit dem TS030-Prototyp auf dem Hochgeschwindigkeitskurs von Le Castellet, weshalb der Rennstall das geplante Debüt beim zweiten Wertungslauf in Spa-Francorchamps absagen musste. Schließlich bereitete der pazifische Neuling seinen Einstand akribisch vor. So wurde aus dem Toyota-Einsatz sozusagen eine eurasische Kooperation, da das in Köln entwickelte Vehikel letztlich von der französischen Oreca-Equipe betreut wurde.

Indes spulten die Herren der Ringe ihr Programm ab. Beim traditionellen Auftakt in Sebring tütete Audi mit einer überarbeiteten Version des R18-Jahreswagen den erwarteten Pflichtsieg ein. Obendrein errangen die Ingolstädter trotz technischer Gebrechen einen Doppelsieg beim Zwölf-Stunden-Rennen in Florida. In den Ardennen blies Audi schließlich zur Großoffensive. Mit einem Vier-Wagen-Gespann wurde ein zweigleisiges Engagement eingeleitet: der süddeutsche Hersteller setzte die Hybridversion des R18-Coupés parallel zum konventionellen Selbstzünder ein.

Voraussagbar fuhr das Audi-Quartett einen Arbeitssieg ein. Ergo manövrierten sich die Herren der Ringe frühzeitig auf Meisterschaftskurs, obwohl der ACO rechtzeitig intervenierte, um solch einen Durchmarsch zu vereiteln. Um Toyotas Titelchancen trotz der Abstinenz in Sebring zu wahren, machte der Le-Mans-Organisator den Asiaten Zugeständnisse. Lediglich die sechs besten Resultate der sieben Ergebnisse würden in die Wertung einfließen. Die Maßnahme war dementsprechend hinfällig. Denn Toyota setzte folglich zwei Saisonrunden aus. 

Audi setzt Vormarsch unbeeindruckt fort 

Noch vor dem ersten Aufeinandertreffen mit Toyota hatte Audi bereits die Hand am Pokal. Die Herausforderer aus Fernost hegten jedoch zunächst einmal die Ambition, auf dem Audi-Terrain an der Sarthe Fuß zu fassen. Dabei zeigten die Japaner keinerlei Hemmungen, den arrivierten Konstrukteur aus Bayern bereits beim Le-Mans-Test in Bredouille zu bringen. Am Stichtag im Juni präsentierten sich die Toyota-Schützlinge letztlich in bemerkenswerter Form, konkurrierten streckenweise auf Augenhöhe mit den eingespielten Ringträgern. 

Die Jagd auf Platzhirsch Audi endete letzten Endes ernüchternd. Beide Hybrid-Benzinautos aus der Toyota-Schmiede fielen noch im Laufe der ersten Rennhälfte aus, weshalb die eurasische Werksmannschaft zu nächtlicher Stunde die Garagentore schließen musste. Die französische Krone des Motorsports wanderte abermals nach Ingolstadt. Ein weiteres Jahr Audi-Regentschaft auf den westfranzösischen Landstraßen im Département Sarthe.

Doch hinter den Kulissen schraubten die Toyota-Techniker fleißig, um den Entwicklungsvorsprung der Konkurrenten peu à peu aufzuholen. Dabei fanden die Kölner Ingenieure gar eine Lücke im Reglement, weshalb der TS030-Flitzer in Silverstone mit einem größeren Heckflügel bestückt wurde. Dessen Legalität wurde postwendend angezweifelt, doch die Regelhüter erklärten das Bauteil wenige Wochen später für regelkonform. Fortan verfügten die Toyota-Piloten über mehr Anpressdruck und brachten die Audi-Rivalen gehörig ins Schwitzen.

Toyota im Fokus: Umstrittener Flügel, obskurer Defekt

In Silverstone zeichnete sich darum eine neue Form des Kräftevermessens ab. Den Rückstand, welchen Audi auf der Strecke einbüßte, versuchten die Bayern über den sparsamen Dieselverbrauch zu kompensieren. In der britischen Grafschaft Northamptonshire war diese Strategie noch von Erfolg gekrönt, doch vor den Toren der brasilianischen Finanzmetropole São Paulo wendete sich das Blatt zugunsten von Toyota. 

Die TMG-Mannschaft rüstete noch einmal nach und demontierte die Audianer förmlich auf der holprigen Berg- und Talbahn in Interlagos. Im Laufe der Sechs-Stunden-Distanz stellte Audi keinerlei Gefahr für den Toyota-Triumphzug dar, haderten stattdessen mit der Reifentemperatur. Toyota landete seinen ersten Coup und zelebrierte wahrlich einen Kantersieg über das erfolgsverwöhnte Audi-Ensemble.

Allerdings wurde dem Höhenflug der Asiaten alsbald ein Ende gesetzt. Im Königreich Bahrain erlitt Toyota einen Rückschlag. Obwohl Lapierre und Alexander Wurz auf der Strecke neuerlich die Oberhand gewannen, erforderte ein Defekt an der Beleuchtung der Startnummer eine siebenminütige Reparaturpause. Anschließend strandete Lapierre infolge eines Patzers im arabischen Wüstensand – Nullnummer für die aufstrebende Toyota-Truppe; Doppelsieg für Audi.

Dennoch rehabilitierten sich die Neulinge auf der Zielgeraden der Saison. Sowohl beim Heimspiel am Fuße des heiligen Berges Fuji als auch beim Finale in Shanghai erfocht die Toyota-Equipe einen Start-Ziel-Sieg. Somit war Toyota im direkten Vergleich letztendlich gleichauf: In sechs Aufeinandertreffen feierten die beiden Kontrahenten jeweils drei Siege. Nichtsdestotrotz sahnte Audi beide Titel ab. Im innerbetrieblichen Konkurrenzkampf behaupteten sich das Le-Mans-Siegertrio Marcel Fässler, André Lotterer und Benoît Tréluyer gegen die Audi-Urgesteine Allan McNish und Tom Kristensen. 

Ist die Langstrecken-WM ein zukunftsträchtiger Wettbewerb?

Vielerorten wurde der Rückzug Peugeots bereits als Menetekel gedeutet. Ohne die Löwen fehlte Audi ein Gegner auf Augenhöhe. Logischerweise bräuchte Toyota zunächst Eingewöhnungszeit. Aber Skeptiker wurden im Laufe des Jahres vom Gegenteil überzeugt, denn Toyota erwies sich als würdiger Peugeot-Nachfolger. Um den Ansprüchen eines WM-Status auch in Zukunft zu genügen, muss der ACO allerdings um weitere Teilnehmer in seiner Königsdisziplin werben. 

Schließlich können die Privatiers nicht dauerhaft im Schatten der Werke fahren und mit der Trophäe einer separaten Wertung vertröstet werden. Zudem kokettiert Strakka Racing schon mit einem Wechsel in die ALMS-Meisterschaft. Rebellion-Toyota hat mit dem Sieg beim Petit Le Mans Blut geleckt und schielt bereits auf die Zwölf Stunden von Sebring. Oak Racing bekam in der LMP1-Riege wiederum keinen Fuß auf den Boden.

Porsche lässt gemäß offizieller Verlautbarungen noch bis zum Jahr 2014 auf sich warten, wagt offenbar aber schon in der nächsten Saison erste Fingerübungen mit einem Neunelfer in der GT-Division. Überdies liebäugelt Honda mit einem werksseitigen Einstieg in die Sportwagenbranche. Nichtsdestoweniger weist die Langstrecken-WM weitere Problemzonen auf. Da der ACO händeringend um neue GT-Teilnehmer buhlt, bemühen sich die Franzosen gar um eine Kooperation mit der SRO-Gruppe. Stéphane Ratel ließ seine Kollegen allerdings abblitzen.

Nächster Kritikpunkt ist der Terminkalender. ACO und FIA wenden sich zunehmend von Traditionsveranstaltungen und Szenenklassikern ab. Nachdem in der Premieresaison bereits das Petit Le Mans nicht in die Planung aufgenommen wurde, haben die Verantwortlichen für das zweite Jahr auch das Zwölf-Stunden-Rennen von Sebring aus dem Rennkalender entfernt. Obgleich es sich hierbei um ein Provisorium handle.