Long Beach: Geschichten aus Kurve elf

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Die American Le Mans Series wechselt für ihr traditionelles zweites Saisonrennen von Sebring an der Ostküste nach Long Beach an die Westküste. Der erste Stadtkurs in diesem Jahr besteht aus elf Kurven, doch die letzte davon hat eine ganz eigene Geschichte.

Die Unterschiede könnten nicht größer sein. Schon der Saisonbeginn in Sebring war das längste Rennen der gesamten Saison. Es ging zwölf Stunden über den weitläufigen 6,02 Kilometer langen Sebring International Raceway. Der zweite Saisonlauf geht hingegen nur über ein Sechstel der Distanz – doch ist mindestens genauso anstrengend.

In Sebring war für die unterschiedlich schnellen Fahrzeuge vom LMP1 bis zum GTC genug Platz für Überrundungen, notfalls konnte man noch den Ausweg über den Rasen nehmen. Versucht man dies jedoch in Long Beach, landet man unweigerlich in der Betonmauer. Dazu wirkt sich der Verkehr von 34 Fahrzeugen auf lediglich 3,167 Kilometern im Gegensatz zu Sebring deutlich stärker aus.

Der wohl größte Knotenpunkt ist die Kurve elf, die Letzte des Straßenkurses entlang des Hafengebietes. Diese Kurve kann man in eine Reihe mit charakteristischen Streckenpunkten auf anderen Rennkursen stellen. Solche sind beispielsweise die „Eau Rouge“ in Spa-Francorchamps, die „Corkscrew“ in Laguna Seca oder das „Schwedenkreuz“ auf der Nordschleife.

Diese drei letztgenannten Kurven haben eins gemeinsam: Jeder Fahrer freut sich auf die Herausforderung diesen Abschnitt zu befahren – eine Ehre, die der Kurve elf in Long Beach nicht zu Teil wird. Eher im Gegenteil, sie wird von vielen Piloten als unangenehm zu fahren empfunden. Kein Wunder, denn hier passieren im Rennen oftmals die meisten Zwischenfälle.

Schwierige Linienwahl im Verkehr

Ausschlaggebend dafür ist nicht nur die Kurve selbst, auch die vorangehenden Biegungen haben ihren Anteil daran. Noch in der neunten Kurve, dem Abzweig vom East Seaside Way auf einen Parkplatz, kann man die Rennsituation als „entspannt“ bezeichnen, für Prototypen ist genug Platz innen an GT-Auto vorbeizufahren.

Doch schon die folgende Linkskurve stellt ein Problem dar. Gran-Turismo-Fahrzeuge müssen dort die Innenbahn nehmen, sonst driften sie nach rechts in die Mauer. Mit 20 Wagen sind die seriennahen Supersportwagen die größte Partei im Feld, es gibt also für die Prototypen-Riege genug zum Überrunden. Für diese zeigen sich demnach in der Anfahrt von Kurve elf nur zwei Möglichkeiten: Sie nehmen die Außenbahn, oder sie stellen sich auf der Innenbahn an.

Entscheidet sich der Pilot für Möglichkeit eins, so kommt er ohne Probleme durch Turn zehn, hat aber spätestens unmittelbar vor Kurve elf ein Problem. Die Autos, die er außen überholt hat, ziehen nun nach rechts, um auf die Ideallinie für die letzte Kurve des Kurses zu kommen – der Prototyp muss also sofort abbremsen oder anhalten, eine Situation mit der vor allem die Gentlemen-Fahrer in der LMPC überfordert sein können.

Wählt der Fahrer aber die zweite Möglichkeit, so ist er direkt vom Ziehharmonikaeffekt betroffen. Langsamere Fahrzeuge, vor allem die zehn GTC-Porsche, müssen weitaus stärker verzögern, als die LMP1 von Muscle Milk, Rebellion und Dyson sowie die LMP2 von Extreme Speed Motorsports oder Level 5 Motorsports.

Diese Frage, welchen Weg sie wählen, müssen sich somit vor allem die LMP-Kutscher in jeder Runde aufs Neue stellen – und das ganze zwei Stunden lang. Kein Wunder, dass die elfte Kurve des Long Beach Street Circuit von den meisten Piloten nur ungern gefahren wird.