Die Blancpain Endurance Series weckt Erinnerungen an die Gran-Turismo-Blütezeit der neunziger Jahre. Ratel bekennt sich scheinbar wieder zur alten GT-Kultur, doch eine bleibende Hürde stellt die ehemalige GT2-Wertung dar. Erlebt die Szene dennoch eine Renaissance? Ein Kommentar von Maximilian Graf.
Die Gebete wurden erhört! Berüchtigte Schauplätze wie der königliche Park von Monza, die Ardennen-Achterbahn oder das „Home of British Motor Racing“ in Silverstone. Ein Reglement, das ein breites Fahrzeugspektrum anspricht. Und Renndistanzen über die klassische Dauer von drei Stunden. Begebenheiten, die ein Sportwagen-Herz höher schlagen lassen und den geneigten Liebhaber von Gran-Turismo-Boliden in die glorreichen Zeiten des GT-Sports zurückversetzen.
Nicht einmal ein Jahr ist es her, als sich GT-Hegemon Stéphane Ratel zu den Wurzeln besann und die Blancpain Endurance Series ins Leben rief. Vergangenes Wochenende fiel schließlich der Startschuss zu der neuen Langstreckenmeisterschaft für große Tourenwagen, doch schlug am Sonntag im Pulverdampf über 30 jaulender GT-Renner die Stunde der Wiedergeburt? Haben Ratel und Konsorten wieder eine allgemeine Anlaufstelle für Gran-Turismo-Akteure geschaffen?
Das Konzept ähnelt in Grundzügen tatsächlich jenem der BPR-Meisterschaft, welche Anfang der neunziger Jahre ein Sammelbecken sämtlicher GT-Fahrzeuge darstellte. Damals glückte der Aufbruch in ein schillerndes Zeitalter des GT-Sports, das zur Jahrtausendwende jedoch in ein Scherbenmeer zerbrach. Nachdem sich BMW, Porsche und Mercedes zwei Jahre lang die Ehre gaben, fand das Säbelgerassel zwischen den Werksmannschaften ein jähes Ende. Denn Engagements auf diesem Level konnten auf Dauer finanziell nicht mehr gestemmt werden, und die Hersteller zogen sich geschlossen zurück.
Die Akteure genossen augenscheinlich zu viele Freiräume, die damalige Königsdisziplin GT1 artete in ein technisches Wettrüsten zwischen den Konstrukteuren aus und musste letzten Endes beerdigt werden. Fortan wurden offizielle Werkseinsätze untersagt, um die Kosten für Kundenteams zu deckeln. Zwar erholte sich die damalige FIA-GT-Meisterschaft sukzessive von dem GAU, fand zu einer Zwei-Klassen-Struktur zurück, doch die Kostenüberwachung mündete in ein bürokratisches System zur Anpassung der Leistung. Um einen Wettbewerb auf Augenhöhe zu gewährleisten, wurden die verschiedenen Gesamtpakete der Kontrahenten angeglichen.
„Balance of Performance“ heißt das Zauberwort. Eine Methode, die eigentlich den Konkurrenzkampf zwischen den Wettstreitern erhalten soll, doch faktisch selbigen verzerrt. Anfänglich bloß in der GT3-Europameisterschaft angewendet, erstreckt sich das System zur Anpassung mittlerweile über das gesamte SRO-Klassenspektrum. Gleichzeitig verabschiedeten sich die Organisatoren bei den Rennen von der Ausdauerdistanz und sattelten auf ein medienkonformes Sprintformat um. Ratel visierte ein Ligasystem an: GT4- und GT3-Serien auf nationaler, GT3- und GT2-Wettbewerbe auf internationaler Ebene und in der Belle Étage eine Weltmeisterschaft für GT1-Boliden.
Streitpunkt GT2
Obwohl Strippenzieher Ratel stets beteuert, die GT-Kultur zu würdigen, zerstörte der SRO-Boss sie im selben Atemzug. Doch das Luftschloss drohte frühzeitig in sich zu zerfallen. Bereits im zurückliegenden Jahr musste die GT2-Europameisterschaft kurzerhand abgesagt werden. Indes steht die GT1-WM fortwährend auf wackeligen Knien, sodass Ratel letzten Sommer die Notbremse zog. Zwar schmiss der Visionär seine Pläne nicht vollständig über den Haufen, aber machte sich hüben wie drüben Eingeständnisse.
Pläne einer reinen GT2-EM als Unterbau für die Weltmeisterschaft wurden endgültig ad acta gelegt, stattdessen zauberte Ratel eine Langstreckenserie für die volle GT-Bandbreite aus dem Hut. Damit drang der SRO-Mann jedoch neuerlich in die altbekannte ACO-Hemisphäre. Denn das Regelwerk umfasste auch die GT2-Kategorie – ein Klientel, das sich der Automobilklub aus dem Nordwesten Frankreichs mittlerweile gesichert hat. Eine Komplikation, die sich als essentiell entpuppt hat.
Durch den Verzicht auf die große Gran-Turismo-Division und eine lukrative Endurance-Kategorie für ehemalige GT2-Renner hat der ACO die Akteure jener Klasse auf seine Seite geschlagen. Obendrein lassen die Franzosen selbst den Werken großzügige Spielräume, weshalb sich Corvette und BMW nach Belieben auf der Spielwiese „GT Endurance“ austoben können. Zu den Platzhirschen von Ferrari und Porsche haben sich außerdem Lotus und Aston Martin gesellt – von den Bastelbuden aus Übersee ganz zu schweigen. Da sich die GT2-Ensembles nach wie vor beim Automobilklub des Westens tummelten, war Ratel gezwungen sie auch aus dem Programm seiner neuen Serie zu streichen.
Das Totschlagargument, warum sich bereits in den Vorjahren etliche GT2-Teams vorzugsweise in den ACO-Serien anstelle der FIA-GT-Meisterschaft engagierten, war stets das Rennkonzept: Während auf der Gran-Turismo-Tournee rund zehn Wertungsläufe über eine kurze Distanz gefahren wurden, bestreitet die Le Mans Series lediglich eine Handvoll Rennen über eine Langstreckendauer von sechs Stunden. Ein LMS-Trip rentiert sich für eine kleine Equipe also weitaus mehr.
Ratel reagierte mit seiner Kursänderung demgemäß schlichtweg zu langsam. Als der Promoter sein Konzept proklamierte, waren seine Klienten bereits an den ACO vergeben. Und dennoch: Der Auftakt der Blancpain Endurance Series in Monza vergangenes Wochenende war ein Erfolg. Trotz Wegfall der GT2-Wertung schrieben sich 32 Mannschaften für den Saisonstart ein; Aston Martin, Ferrari, Porsche, Ford, Audi, Nissan, Lotus, Maserati, Lamborghini und Ginetta – die gewünschte Markenvielfalt war gegeben.
Der Grundstein ist dementsprechend gelegt. Obgleich Ratel vorerst sein Problemkind GT2 entbehren muss, hat der SRO-Kopf einen enorm relevanten Schritt gemacht, um die GT-Kultur zu erhalten. Die Blancpain Endurance Series offeriert der gesamten GT-Szene eine Bühne, sich auf internationalem Parkett auf diversen Traditionskursen zu präsentieren. Da rigide Einstufungstests keine zentrale Rolle mehr spielen, steht die Tür auch Entwicklungsfahrzeugen und Tüfteleien offen. Obsolete Autos müssen nicht mehr aufs Abstellgleis geschoben werden, und die schwache GT4-Serie wurde erfolgreich integriert.
Folglich schweben nur noch zwei Fragezeichen über den weiteren Entwicklungen: Eine möglichen Einigung zwischen SRO und ACO in puncto GT2 und der Verbleib mit Ratels zweitem Sorgenkind, der GT1-Weltmeisterschaft. Es liegt in den Händen der Verantwortlichen. Die „große Fahrt“ kann jedenfalls aufgenommen werden.
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.