Fliegende Sportwagen: Warum immer das gleiche Bild?

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Zuletzt traf es Anthony Davidson, aber schon seit den siebziger Jahren ereignen sich wiederholt schwere Unfälle, bei denen die Sportwagen den Boden verlassen. Wie kommt es dazu? Und kann man sicherstellen, dass es nicht mehr vorkommt? Ein Blick auf die Schattenseite der Aerodynamik.

Als Anthony Davidson letztes Jahr in Le Mans mit seinem TS030 die Bodenhaftung verlor, stockte vielen der Atem. Gleich darauf kam dann die Frage auf: Hätten die Löcher in den Kotflügeln und die Heckfinne nicht genau das verhindern sollen? Einzelne schrien schon, diese Maßnahmen hätten ihren Sinn verfehlt.

Das Problem fliegender Sportwagen ist allerdings nicht neu. Schon seit den siebziger Jahren passiert dies immer wieder. Dabei lassen sich zwei Unfallbilder unterscheiden. Das Abheben bei freier Fahrt geradeaus und das Abheben, nachdem das Fahrzeug aus irgendeinem Grund quergestellt wurde.

Salto Rückwärts

Im ersten Fall, also dem Abheben auf freier Strecke, machen die Fahrzeuge meist eine Art Salto rückwärts. Bekanntestes Beispiel dürften hier die Überschläge der Mercedes-Prototypen im Jahr 1999 sein. Bei dieser Unfallsituation hat das Fahrzeug viel Abtrieb am Heck, häufig bedingt durch hohe Geschwindigkeit, während die Front relativ stark entlastet ist.

Fährt das Fahrzeug nun über eine Kuppe, kann es kurzzeitig dazu führen, dass der Diffusor an der Front weniger Abtrieb beziehungsweise sogar Auftrieb erzeugt, während am Heck immer noch Abtrieb herrscht. Wird nun durch irgendeinen Einfluss wie zum Beispiel die Wirbelschleppe eines vorausfahrenden Fahrzeugs der Abtrieb an der Front weiter verringert, bekommt das Fahrzeug beim Überfahren der Kuppe plötzlich Unterluft und wird buchstäblich nach oben geschleudert.

Das Rezept gegen diese Art Unfall ist klar. Mehr Abtrieb auf die Vorderachse. Die Regeländerungen der Jahre 2000 bis 2004 haben hier recht gut gegriffen. So wurde der Hecküberhang verkürzt und die Heckflügel wanderten entsprechend weiter nach vorne. Dadurch wurde das Moment um die Hinterachse, welches die Vorderachse in die Luft zwingen will, verringert.

Eine weitere Maßnahme war es, dass der mittlere Teil des Frondtdiffusors nun etwas höher liegen muss als der Außenbereich. Dadurch reagiert das Fahrzeug weniger stark, wenn sich der Abstand des Diffusors zum Boden ändert. Auch wurden inzwischen weitere Maßnahmen ergriffen, um den Abtrieb am Heck zu beschränken. Die Heckflügel wurden kleiner und die Konstrukteure darum gezwungen, den Abtrieb mehr nach vorne zu orientieren. Die letzten Jahre kam es zu keinem ähnlichen Unfall mehr.

Seitliches Abheben

In letzter Zeit wesentlich häufiger ist das seitliche Abheben. Die Ursache hierfür ist die Form der Fahrzeuge. Ähnelt ein Längsschnitt durch den Unterboden einem negativen Flügelprofil, bei dem der hintere Abschluss deutlich oberhalb des Anfangs an der Fahrzeugfront ist, so hat man bei einem Querschnitt eher ein positives Flügelprofil. Bei diesem liegt die Mitte deutlich höher als die beiden Seiten. Dieses Profil dient dazu, die Luft, welche beim Frontdiffusor unters Auto kam, möglichst verlustfrei zum Heckdiffusor zu leiten.

Diese Art Profil wird, von der Seite angeströmt, immer Auftrieb erzeugen. Hinzu kommt, dass bei Sportwagen die Flügelfläche, also die Fläche des Unterbodens, auch vergleichsweise groß ist. Bedingt durch die Regeln, welche zumindest ein angedeutetes Zweisitzerkonzept verlangen, und außerdem dazu zwingen, die Verkleidung über die gesamte Fahrzeugbreite inklusive der verkleideten Räder zu führen, lässt sich diese Fläche auch nicht vernünftig reduzieren.

Trotzdem wurde die letzten Jahre vieles versucht, um der Sache Herr zu werden. Deshalb müssen mittlerweile die Seiten der LMP angehoben sein (man vergleiche einmal die Seitenansicht eines Audi R8 mit der eines R18), die Bodenfreiheit wurde erhöht. Es wurden die Seitenteile am Heck Eingeführt (hinten jeweils an den Seiten unten), die dazu führen sollen, dass die Fahrzeuge im Falle von Rückwärtsfahrt gebremst werden anstatt abzuheben.

Es wurde die Heckfinne eingeführt, welche die Fahrzeuge bremsen soll und außerdem verhindern, dass bei Seitwärtsbewegungen auch die Oberseite des Fahrzeugs wie ein Flügel wirkt. Auch die Löcher in den Kotflügeln sollen zum Druckausgleich zwischen hohem Druck in den Radkästen und niedrigem Druck darüber dienen.

Warum passieren die Unfälle immer noch?

Trotz all der Maßnahmen passieren immer wieder Unfälle, bei denen Prototypen abheben. Im Falle von Anthony Davidson war es der Zusammenprall mit dem Ferrari, der ihn in die Drehung zwang. Gleichzeitig war das linke Hinterrad beschädigt, wodurch das Auto vorne rechts, genau in Richtung der Drehung leichter wurde und abhob. Dass der Heckspoiler dabei immer noch Abtrieb erzeugte machte die Sache natürlich nicht besser. Der ganze Crash fand bei über 300 km/h statt, zumindest aus Davidsons Sicht. Bei dieser Geschwindigkeit passieren schon einmal die irrsten Dinge.

Dass die neuen Hilfsmittel im Prinzip funktionieren zeigten die Crashs von Mike Rockenfeller und Allan McNish im Jahr 2011. Beide Fahrzeuge kamen ebenfalls nach Berührungen mit Ferrari-Fahrzeugen quer, blieben aber bei wesentlich geringeren Geschwindigkeiten in Bodennähe anstatt sich in der Luft zu überschlagen. Im Falle von McNish rettete dies wohl einigen Menschen das Leben. In beiden Fällen waren die Geschwindigkeiten aber auch deutlich niedriger (zirka 180 km/h bei McNish und 250 km/h bei Mike Rockenfeller).

Warum man die Unfälle wohl immer wieder erleben wird, wurde bereits beschrieben. Die große Unterbodenfläche eines Sportwagens wird immer wieder dazu führen, dass, besonders in Situationen in denen die Fahrzeuge quer kommen, ein Fahrzeug möglicherweise abhebt. Wie schon die letzten Jahre demonstriert, kann man lediglich die Grenzen verschieben, aber irgendein Unfallszenario wird es immer geben, das nicht bedacht wurde und dann wieder zur Katastrophe führt.

Wie wirken die neuen Instrumente?

Klären wir kurz die Wirkungsweise der neuen Instrumente. Die erhöhte Bodenfreiheit hat zur Folge, dass der durch den Unterboden erzeugte Abtrieb weniger wird. Dreht sich das Fahrzeug nun zur Seite, wird zum einen der Verlust an Abtrieb weniger, zum anderen wird auch die Luft nun nicht mehr so stark beschleunigt und es gibt weniger Auftrieb, so zumindest die Theorie.

Etwas mehr den Brutaloansatz verfolgt die Heckfinne. Steht das Fahrzeug quer, wirkt sie wie ein großes Brett, das Quer im Wind steht, als Bremse um die Geschwindigkeit des Fahrzeugs schnell zu reduzieren und damit ein Abheben zu verhindern. Außerdem steht die Oberseite des Fahrzeugs, welche ebenfalls eine entfernte Flügelform aufweist, nun nicht mehr als auftriebserzeugende Fläche zur Verfügung, da ja der Luftstrom an der Finne abreißt.

Die Löcher in den Kotflügeln hingegen sorgen für einen Druckausgleich zwischen dem Überdruck im Radkasten, der sowohl durch die drehenden Räder, als auch in Falle eines Drehers durch die Luft, die sich im Radkasten fängt, erzeugt wird und dem Unterdruck, der über dem Fahrzeug herrscht. Somit wird ebenfalls der Auftrieb reduziert.

Allerdings gibt es auch immer wieder Stimmen, welche die Wirksamkeit anzweifeln. Der Verlust von Abtrieb durch die höhere Bodenfreiheit sorgt natürlich auch für ein weniger stabiles Fahrverhalten. Auch die Löcher, vor allem in den hinteren Kotflügeln stehen diesbezüglich in der Kritik, da der Luftstrom aus diesen, die Anströmung des Heckflügels verschlechtert. Die Argumentation, gerade auch von Audi geht nun so, dass diese Maßnahmen zwar vielleicht die Folgen, sprich das Abheben nach einem Dreher unwahrscheinlicher machen, dadurch dass die Fahrzeuge aber weniger stabil auf der Straße liegen, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens erhöhen.

Etwas anders liegt der Fall bei der Heckfinne. Zwar argumentieren Kritiker dieser Komponente ebenfalls, dass die relativ hoch am Fahrzeug befindliche Finne die Anfälligkeit für Seitenwind erhöht, aber die Kritik geht eher in die Richtung, dass der Winddruck auf die Finne das Fahrzeug über die hinten in Drehrichtung hinten liegenden Räder quasi aushebeln würde. Angesichts der Breite eines LMP im Vergleich zur Höhe der Finne (etwa 1,1 Meter über dem Boden im Vergleich zu einer Breite von zwei Meter) erscheint die Argumentation aber eher akademisch. Die Kraft wird es sicher geben, aber es wird nicht reichen, um das komplette Auto zu drehen oder auch nur den Unterboden deutlich anzuheben.

Was kann man noch tun?

Immer wieder hört man auch Vorschläge, welche Maßnahmen man noch ergreifen könnte, um das Abheben zu vermeiden. In diesem Zusammenhang werden auch die Klappen der NASCAR-Fahrzeuge genannt. Kommt ein NASCAR-Fahrzeug quer oder fährt rückwärts, klappen auf dem Dach automatisch Klappen hoch, welche das Fahrzeug bremsen. In normaler Fahrtrichtung passiert jedoch nichts.

Diese Klappen funktionieren aber zum Teil auch nur deshalb, weil die Fahrzeuge mit vergleichsweise geringer Querbeschleunigung in Linkskurven durch ein Oval fahren. Außerdem haben die NASCAR-Boliden auch flache Dachpartien. Eine solche findet man mittlerweile bei den GT nur noch selten und bei Prototypen schon lange nicht mehr.

Eine derartige Lösung wäre also denkbar, es wäre aber viel Arbeit nötig um sicherzustellen, dass die Klappe immer in die richtige Richtung öffnet (anders als in der NASCAR kann ein LMP in beide Richtungen ausbrechen) und auch zuverlässig nur dann, wenn erfordert. Außerdem muss man sicherstellen, dass diese nicht von manchen Teams als Performance-Steigerung genutzt werden. Nicht umsonst sind bewegliche Aerodynamikteile eigentlich verboten.

Und die Fahrer?

Motorsport ist gefährlich. Dessen sind sich Fahrer und Teams bewusst. Allerdings hat sich über die Jahre viel verbessert. Endete ein Überschlag mit Landung auf dem Dach früher in aller Regel tödlich, so sind schwere Verletzungen heute doch eher die Ausnahme. Dass sich Davidson im letzten Jahr an der Wirbelsäule verletzte, war sicherlich Pech. Aber dass er seit Daytona wieder im Auto sitzt, hätte es früher wohl nicht gegeben.

Aber auch offene Fahrzeuge schneiden bei solchen Überschlägen besser ab, als man meinen sollte, wie auch der Crash von Mark Webber vor einigen Jahren in Valencia zeigte. Er war es übrigens auch, der 1999 mit seinem Mercedes-Benz eine ungewollte Flugeilage hinlegte.

Mit den ab 2014 gültigen Regeln, nach denen nur noch Coupés zum Einsatz kommen sollen, dürfte sich aber die passive Sicherheit für die Piloten weiter erhöhen. Die Problematik, dass Sportwagen zum Abheben tendieren, wird es also wohl weiterhin immer wieder geben, allerdings wird mittlerweile viel getan, um die Folgen abzumildern.