Kommentar: Hyperinflation in Le Mans

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Acht Euro für ein Bier: In Le Mans galoppiert die Inflation | © Maximilian Graf

Acht Euro für ein Bier? Das ist vermutlich der feuchte Traum eines jeden Stadionbetreibers und Konzertveranstalters. In Le Mans ist diese Dystopie erschütternde Realität. Der Preisindex, gemessen am Wert der Gerstenschorle, indiziert aber auch eine Fehlentwicklung des 24-Stunden-Rennens an der Sarthe. Ein Kommentar.

Man erliegt mitunter dem schwindelerregenden Eindruck, in Le Mans sei die Hyperinflation ausgebrochen. Acht Euro für ein Bier? Das überflügelt nicht nur die Preise einer Flughafenbar, sondern übersteigt auch die kühnsten Träume jedes Stadionbetreibers und Konzertveranstalters. Eine Kaufentscheidung, solch horrende Preise für eine Gerstenschorle zu verausgaben, kann eigentlich nur bar jedweder Vernunft getroffen werden.

Und dennoch: Zahllose Besucher des 24-Stunden-Rennens von Le Mans schritten auch in diesem Jahr seelenvergnügt den Circuit de la Sarthe ab und schlürften ihr kostenträchtiges Bier. Unfassbar. Zugleich indiziert dieser Umstand auch eine Fehlentwicklung der Traditionsveranstaltung im Nordwesten Frankreichs. Die Eventisierung des längsten Tag des Jahres schreitet unabwendbar voran, der Motorsport rückt in den Hintergrund.

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Es ist eine Tendenz, die sich bereits seit Jahren abzeichnet und repräsentativ für sämtliche populären Sportveranstaltungen ist. Nicht der Langstreckenwettbewerb, nicht das 24-Stunden-Rennen in Le Mans steht im Mittelpunkt, sondern das Erlebnis „Le Mans“. Allein dieser Prioritätsverschiebung verdankt der ACO die unveränderte Beliebtheit des Klassikers an der Sarthe. Es ist ein hoher Preis, den nicht nur die Zuschauer für Lebensmittel – selbst für Wasser trotz saharischer Temperaturen – zahlen müssen.

Selbstverständlich ist man auch in der Vergangenheit, am Sonntagmorgen über Schnapsleichen gestolpert. Und ohne jeden Zweifel ist Folklore ein Faktor, der die 24 Stunden von Le Mans einzigartig macht. Allerdings nimmt der Partyaspekt mittlerweile Dimensionen an, welche die Frage aufdrängen, inwieweit die 24 Stunden von Le Mans als Event den 24 Stunden von Le Mans als einer drei geschichtsträchtigsten Rennsportveranstaltung der Welt schaden.

Zum Leidwesen der Sportwagenfans

Es genügt ein Blick abseits des beinahe vierzehn Kilometer messenden Asphaltstreifens: Gigantische Zeltlager, die als Liegestatt zahlloser Reisegruppen dienen, errichtet von Busunternehmen, welche Le Mans zur Destination des Massentourismus degradieren. Stellenweise begegnet man auf den Campingplätzen Schaulustigen, die vermutlich keine Sekunde des Rennens verfolgen. Stattdessen: kollektives Komasaufen, allenfalls Ausnüchtern an der Strecke.

Man kann sich an den Zuschauerzahlen im sechsstelligen Bereich durchaus aufgeilen – immerhin verbucht die FIA WEC einmal im Jahr ein Publikumsinteresse, welches höher als ein Dritt-Liga-Derby ist. Man kann aber ebenso der Wahrheit ins Auge blicken: Einem Gutteil derjenigen, die wegen des Langstreckensports nach Le Mans reisen, vergällt diese Entwicklung höchstwahrscheinlich den Spaß.

Die 24 Stunden von Le Mans sind im Begriff, eine Sportveranstaltung der Gattung Super Bowl zu werden – offenbar der Prototyp moderner Sportveranstaltungen, den nun europäische Organisatoren zu adaptieren suchen. Das einzige, was am vergangenen Wochenende noch fehlte: ein Auftritt Helene Fischers. Vermutlich wäre die Schlagersängerin aber nicht mit Pfiffen, sondern mit frenetischem Jubel empfangen worden.