Silverstone: Kein Favorit beim WM-Auftakt?

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Keines der Werke erhebt beim WM-Auftakt in Silverstone explizit den Anspruch, die Position des Favoriten zu beziehen. Weder Titelverteidiger Toyota, noch Porsche treten an diesem Wochenende siegesbewusst an. Allein Audi lässt keine Zweifel an seinen Ambitionen: ein Erfolg über die Konkurrenz.

Die Werke der Langstrecken-WM üben sich dieser Tage in Bescheidenheit. Niemand wagt es, sich die Stellung des Favoriten beim Auftaktrennen in Silverstone anzumaßen. Weder Titelverteidiger Toyota, noch Audi und Porsche wähnen sich gegenüber den Rivalen im Vorteil. Zumal die Ergebnisse des Prologs in Le Castellet nur bedingt eine Betrachtung des Kräfteverhältnisses zwischen dem Herstellertrio ermöglichen.

Selbst Porsche beschwichtigt nach der staunenswerten Darbietung bei den Einstellfahrten in der Provence. Zunächst konsternierte der Konstrukteur aus Stuttgart-Zuffenhausen mit dem Aufstieg in die Acht-Megajoule-Klasse, anschließend fuhr die Werksmannschaft in sämtlichen Sitzungen Bestzeit. „Wir haben ganz sicher ein schnelles Auto und sind gut aufgestellt“, resümierte Fritz Enzinger, welcher den Einsatz koordiniert.

Ein weiteres Fanal: Beim Nachttraining umrundete Neel Jani den Circuit Paul Ricard in Rekordzeit, wobei der Porsche-Werksfahrer zum einen die Bestmarke aus dem Vorjahr um vier Sekunden unterbot, zum anderen halste er der Konkurrenz im Mittel zwei Sekunden Rückstand auf. Allerdings führte Porsche während der Probefahrt bei Dunkelheit eine Qualifikationssimulation durch – mit weichen Reifen und geringer Benzinmenge.

Porsche hadert auf längerer Distanz mit den Reifen

Überdies markierte Porsche auch in puncto Höchstgeschwindigkeit neuerlich den Referenzwert: 338,6 Kilometer pro Stunde. Doch vermag der Weissacher Hersteller dieses Tempo auch über längere Distanz aufrechtzuerhalten? Beim Vergleich der einzelnen Rundenzeiten überflügelt Porsche zwar Audi und Toyota, aber der Abbau der Reifen bereitet der Mannschaft im Augenblick noch Schwierigkeiten. 

Dieses Manko könnte letztlich Audi und Toyota unter Wettbewerbsbedingungen begünstigen. Ein konkretes Ziel für die erste Begegnung in der Grafschaft Northamptonshire formuliert Porsche daher nicht. „Wir sind noch immer ein junges Team. Wir haben jedoch unsere Debütsaison mit einem Sieg in Brasilien abgeschlossen, entsprechend sind die Erwartungen an uns jetzt gestiegen“, äußert sich Enzinger hermetisch. 

Zumal Porsche auch im der vergangen Saison beim Prolog die Mitstreiter überflügelte, sich in Silverstone aber Toyota unterordnen musste. Der Titelverteidiger aus Fernost war augenscheinlich aber nicht willens, sein Potenzial bereits bei der Standortbestimmung in Südwestfrankreich zu offenbaren. Beim Test hielt das TMG-Gespann stets einen Respektabstand und klassierte sich in der Hierarchie der Hersteller an dritter Stelle. 

Angesichts der Ambition, seinen Titel in der Weltmeisterschaft zu verteidigen und den Sieg in Le Mans davonzutragen, drängt sich allerdings die naheliegende Vermutung auf: Toyota hat geblufft. Erwartungsgemäß zeigt die Chefetage ebenfalls Zurückhaltung. „Wir wurden jedes Jahr stärker, und ich erwarte, dass sich dieser Trend fortsetzt“, meint Toshio Sato, der seit Anfang April die Position des Teamchefs bekleidet. 

Wolfgang Ullrich: „Unser Ziel ist es, wieder in Silverstone zu gewinnen“

Stattdessen erwartet die Toyota-Equipe erhebliche Verbesserungen und Steigerungen bei Audi und Porsche. „Es wird natürlich abermals eine große Herausforderung, gegen diese eindrucksvollen Gegner zu bestehen“, stellt Sato heraus. „Wir haben uns aber entsprechend vorbereitet und ich denke, wir sind bereit. Das müssen wir auch sein, denn die Konkurrenz scheint in dieser Saison stärker zu sein.“ 

Der entthronte Branchenprimus Audi etablierte sich nach seinem Wechsel in die Vier-Megajoule-Klasse wiederum als zweistärkste Kraft beim Prolog. Ferner war die Delegation aus Ingolstadt in der Lage, auch über längere Distanzen konstant schnelle Rundenzeiten zu erreichen. Im Gegensatz zu Konzernschwester Porsche haderte Audi nicht derlei mit dem Abbau der Reifen, was Joest Racing im Rennen schlussendlich zupass kommen sollte. 

Deshalb deklariert Audi seine Ambitionen unmissverständlich. „Beim Prolog in Le Castellet sind wir zum ersten Mal in der Saison 2015 auf unsere Gegner getroffen und konnten sehen, dass alle gründlich vorbereitet sind – auch wenn dort noch niemand seine Karten offen auf den Tisch gelegt hat“, fasst Motorsportchef Doktor Wolfgang Ullrich zusammen. „Unser Ziel ist es, wie 2012 und 2013 wieder in Silverstone zu gewinnen.“ 

Neueinsteiger Nissan fehlt bekanntermaßen in der Grafschaft Northamptonshire. Mittlerweile hat der Herausforderer aus Japan zwar den FIA-Crashtest bewältigt, aber die in Arizona ansässige Truppe nutzt die Wochen vor der Machtprobe in Le Mans, um weitere Prüffahrten zu unternehmen. Auch Rebellion Racing verzichtet auf einen Start in Silverstone. Folglich tritt ByKolles Racing als einzige Privatmannschaft beim ersten Kräftemessen der Saison an.