Silverstone: Toyota überragt mit taktischem Kalkül

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Beim WM-Auftakt in Silverstone vollstreckte Toyota einen dominanten Siegeszug. Mit taktischem Kalkül errang der Konstrukteur aus Fernost einen Doppelsieg. Audi widerfuhr wiederum ein Debakel: Keiner der Ingolstädter Sportwagen überquerte die Ziellinie. Derweil verlief Porsches Einstand zwiespältig.

Standfestigkeit, eine fehlerfreie Darbietung sowie taktisches Kalkül: Jene Determinanten verhalfen Toyota beim Sechs-Stunden-Rennen von Silverstone zu einem Kantersieg über Porsche und Audi. Der Konstrukteur aus Fernost kontrollierte die Ereignisse auf dem Traditionskurs in der Grafschaft Northamptonshire geradezu und erfocht letzten Endes die Ränge eins und zwei beim Saisonauftakt der Langstrecken-WM.

Als die Streckenposten etwa eine halbe Stunde vor dem regulären Zieleinlauf rote Flaggen schwenkten, verwalteten Anthony Davidson, Nicolas Lapierre und Kazuki Nakajima eine Runde Vorsprung auf ihre Stallgefährten Stéphane Sarrazin, Alexander Wurz und Sébastien Buemi. Die Verantwortlichen fassten den Entschluss zum Abbruch aufgrund von Wetterkapriolen – sintflutartige Regenfälle schafften unberechenbare Bedingungen auf dem Silverstone Circuit. 

Doch wie gelang Toyota solch ein dominanter Auftritt? Der TMG-Rennstall deklassierte seine Widersacher aus Süddeutschland im ersten Gefecht des Jahres, obwohl dem pazifischen Hersteller zuvor tendenziell Außenseiterchancen eingeräumt wurden. Selbst während der Trainingssitzungen am Freitag und Samstag übte sich Toyota in Zurückhaltung, offenbarte sein Potenzial erst in der Qualifikation: Poleposition.

Toyota wählt unterschiedliche Herangehensweisen

Sodann vollstreckte Toyota seinen Siegeszug. „Das Team blieb stets in Alarmbereitschaft und traf jeweils die strategisch richtigen Entscheidungen“, resümierte TMG-Präsident Yoshiaki Kinoshita schlussendlich am Sonntagabend. Tatsächlich war die Strategie von tragender Bedeutung beim Eröffnungslauf in Silverstone. Denn angesichts der Wetterprognosen spekulierten die Toyota-Taktiker auf regnerische Bedingungen und stimmten die Hybridsportwagen entsprechend ab. 

Zudem wählte Toyota unterschiedliche Herangehensweisen: Die Besatzung mit der Bezifferung sieben, welche sich die beste Ausgangslage für den Wettbewerb gesichert hatte, startete auf Regenreifen, während die Kollegen mit der Nummer acht Intermediates montierten. Obwohl anfangs trockene Verhältnisse in Silverstone herrschten, erwies sich letztere Entscheidung alsbald als goldrichtig. 

Obschon Audi in der Startphase imstande war, Toyota massiv unter Druck zu setzen, wendete sich die Partie bei einsetzenden Regenschauern zu Gunsten der Abordnung aus Asien. In einer turbulenten Startphase erstürmte André Lotterer zunächst die Führung, doch auf feuchter Piste büßte der Audi-Athlet Positionen ein. Konterpart Buemi schlug dagegen aus den wechselnden Bedingungen Kapital und eroberte mit Intermediates die Spitzenposition zurück. 

Davidson: „Wir wussten, dass der Regen einsetzen würde“ 

Markenkollege Wurz geriet indes kurzzeitig ins Hintertreffen, als der Asphalt nach dem Regenschauer wieder abtrocknete, woraufhin die Haftung der Pneus sukzessive abbaute. Doch nach Anderthalbstunden bog Wurz in die Boxengasse ab, die TMG-Mechaniker zogen Trockenreifen auf und Nakajima kletterte ins Cockpit. Während der Japaner den zweiten Platz erkämpfte, festigte Lapierre den Platz an erster Stelle.

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Somit waren die Positionen bezogen und Toyota nicht mehr aus der Siegerstraße zu drängen. „Es sah zunächst im Trockenen nach einer enormen Schlacht mit Audi und den Porsche aus“, berichtet Davidson. „Doch wir wussten, dass der Regen einsetzen würde – und unser Auto war auf Nässe abgestimmt. Wir haben zudem die richtigen Entscheidungen beim Reifenwechsel getroffen, die Strategie war perfekt. Und so gewinnt man eben Rennen.“ 

Und Titelverteidiger Audi? Dem Branchenprimus aus Ingolstadt widerfuhr bei der Wettfahrt in Silverstone ein Fiasko. Wenngleich sich die Marke mit den vier Ringen vorübergehend in führende Position manövrierte und gar die schnellste Rundenzeit erzielte, traf die Joest-Mannschaft eine taktische Fehlentscheidung. „Als es zu regnen begann, haben wir unserem Wetterradar vertraut und zu lange gewartet, die Reifen zu wechseln“, gesteht Motorsportchef Doktor Wolfgang Ullrich. „Das war unser Fehler und im Nachhinein betrachtet ein unnötiges Risiko.“ 

Katastrophaler Rennverlauf für Audi

Nach zwei Unfällen erreichte schlussendlich keiner der beiden Audi-Prototypen das Ziel. Auf feuchter Piste geriet Lucas di Grassi ins Schlingern, schleuderte in die Streckenbarriere und ramponierte seien Fronthaube. „Leider war die Strecke zu kalt und zu nass für die Reifen“, analysiert der Brasilianier. „Ich hatte daher einen Unfall, bei dem das Monocoque so stark beschädigt wurde, dass wir aufgeben mussten. Das war kein guter Tag für uns.“ 

Obwohl di Grassi seinen weidwunden Dienstwagen nach der Bergung nochmals an die Box schleppte, konnte seine Mannschaft das Rennen nicht fortsetzen, da das Monocoque an einer Stelle irreparabel beschädigt war. Vier weitere Umrundungen überstand sein Stallgefährte Lotterer, welcher in der Passage Woodcote ins Kiesbett glitt. Nach der Bergung rettete sich der Deutsche an die Box und übergab das Steuer an Benoît Tréluyer. 

Doch der Franzose verunfallte in der Copse-Mutkurve, was ein Totalausfall für Audi bedeutete. „Bei solch nassen Bedingungen ist es schwer, eine Ursache zu benennen“, äußerte sich Tréluyer nach dem Intermezzo ratlos. „Ob es am Fahrer, an den allgemeinen Streckenverhältnissen, an den Randsteinen speziell in einer Ecke oder am Auto lag, ist bei solch Bedingungen schwer zu sagen. Wir werden das in den nächsten Tagen detailliert analysieren.“

Porsche-Debüt verläuft ohne „nennenswerte Probleme“ 

Porsche zieht nach der ersten Begegnung in Silverstone dagegen eine zwiespältige Bilanz. Timo Bernhard, Brendon Hartley sowie Formel-1-Prominenz Mark Webber erstritten beim WM-Debüt des Herstellers aus Stuttgart-Zuffenhausen die Bronzemedaille, wohingegen Romain Dumas, Neel Jani und Marc Lieb bereits nach einer Stunde den Rückzug antraten. Ein technischer Defekt verhinderte letztlich die Weiterfahrt. 

Die Kollegen bewältigten die Distanz hingegen ohne Schwierigkeiten oder Zwischenfälle. „Es war ganz wichtig, dass wir ohne nennenswerte Probleme durchgefahren sind und im Rennen die richtigen Entscheidungen getroffen haben“, merkt Werksfahrer Bernhard an. „Ich habe einen guten Start erwischt, die anderen fuhren mir nicht weit weg – und als der Regen einsetzte, konnte ich gut mithalten und die Lücke nach vorne schnell wieder schließen.“ 

Ein Lapsus erlaubte sich die Porsche-Truppe allerdings beim Schwesterfahrzeug, als die Mechaniker den Reifen beim ersten Boxenstopp nicht korrekt montierten. „In Runde 24 gab es vorne links ein Problem mit dem Rad und ich musste an die Box“, erklärt Jani. „Das Team konnte den Schaden in nur 16 Minuten reparieren, eine tolle Leistung. Leider kam in der 30. Runde für uns in Form eines weiteren Defekts das endgültige Aus.“