DTM: Dubiose Flaggenkunde auf dem Norisring

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Fragwürdige blaue Flaggen verhalfen Gary Paffett und Mike Rockenfeller, sich auf Podiumskurs zu manövrieren. Allerdings überrundeten die Piloten zu jenem Zeitpunkt nicht, sondern befanden sich im direkten Duell. Damit verzerrte die Rennleitung massiv den Wettbewerb. Ein Kommentar zum DTM-Lauf auf dem Norisring.

Welch ein ereignisreicher Rennsonntag auf dem Stadtkurs von Nürnberg: In einem nervenaufreibenden Finale brach Mattias Ekström den Audi-Fluch auf dem Norisring und erfocht seit elf Jahren wieder einen Sieg beim Heimspiel der Ingolstädter. Zeitgleich spielten sich im Duell um den Silberrang fragwürdigen Szenen ab. Edoardo Mortara und Gary Paffett kollidierten – und zwar zweimal binnen weniger Augenblicke.

Allerdings ging dem denkwürdigen Zweikampf eine nicht minder dubiose Aufholjagd Paffetts voraus, wobei der Mercedes-Benz-Schützling von blauen Flaggen profitierte. Zuvor hatte sich Paffett nämlich einen Frühstart erlaubt, was die Rennleitung wiederum mit einer Durchfahrtsstrafe ahndete. Sodann entschied sich der Brite für eine Va-Banque-Taktik und wickelte seine beiden Pflichtstopps unmittelbar hintereinander ab. Der Schachzug sollte offenbar aufgehen.

Denn das Sicherheitsfahrzeug neutralisierte das Teilnehmerfeld in der Anfangsphase gleich zweimal, weshalb sich Paffett wieder einreihen konnte, ohne massig Zeit einzubüßen. Obendrein hatte der Sternenkrieger seine beiden obligatorischen Boxenbesuche folglich bereits abgesessen, während ein Gros der Akteure noch einmal ihre Mechaniker aufsuchen mussten. Für eine ähnliche Herangehensweise entschied sich im Übrigen auch Mike Rockenfeller (Audi), der jedoch im Unterschied zu Paffett den Rest des Rennens mit Optionsreifen fuhr.

Indes hatten sich die Audi-Piloten Edoardo Mortara und Mattias Ekström an der Spitze des Klassements positioniert, mussten aber noch einen Boxenstopp absolvieren. Um ihre Führungsrolle zu verteidigen, hatten die Audianer mit ihrer weichen Reifenmischung nun einen Vorsprung von einer halben Minute auf die Verfolger Paffett und Rockenfeller herausfahren. Dieses Polster war nötig, damit Mortara und Ekström als Spitzenreiter zurück auf die Piste kehren konnten.

Rennleitung winkt Paffett und Rockenfeller mittels blauer Flaggen durch 

Augenscheinlich entschied sich die Rennleitung jedoch, AMG-Fahrer Paffett und Audi-Mitstreiter Rockenfeller bei der Aufholjagd unter die Arme zu greifen. Denn die Streckenposten schwenkten mit einem Male blaue Flaggen, um die Verfolger durchzuwinken. Blaue Flaggen? Im direkten Duell? Eine fragwürdige Anweisung. Schließlich kämpften die Konkurrenten, welche erst einmal gestoppt hatten, ebenfalls um Positionen. 

Doch die Begründung der Rennleitung: Die anderen Fahrer bekämen die blauen Flaggen gezeigt, damit sie Paffett und Rockenfeller nicht blockierten. Schließlich handele es sich quasi um eine Überrundung, da die Verfolger bereits beide Stopps abgewickelt hatten. Mit dieser Schlussfolgerung liegen die Verantwortlichen jedoch definitiv falsch, vielmehr handelte es sich bei dieser Intervention aus zweierlei Gründen um massive Wettbewerbsverzerrung. 

Erstens: Wer einen frühen Boxenstopp einlegt, fällt zurück. Sobald die Konkurrenz ebenfalls an der Box hält, ist das eigentliche Klassement wiederhergestellt. Paffett und Rockenfeller profitierten allerdings von einer Gelbphase hinter dem Sicherheitsfahrzeug, weshalb sich das Verfolgerduo ohne Rundenrückstand wieder einsortiere. Ergo wären Paffett und Rockenfeller ohnehin nach den Stopps ihrer Gegner nach vorne gerutscht, doch wegen der blauen Flaggen profitierten sie doppelt.

Zweitens: Wie lange hätte die Rennleitung dieses aberwitzig Spiel noch treiben wollen? Selbst ARD-Kommentator Manuel Reuter hegte nach einiger Zeit Zweifel an dieser Vorgehensweise, als ihm schwante, wohin diese blauen Flaggen führten. Sollten auch Ekström und Mortara die Rivalen Paffett und Rockenfeller kampflos passieren lassen? Mit der Begründung, weil sie bereits ihre Pflichtstopps absolviert hatten?

Eklat in der letzten Kurve, Vietoris und Rockenfeller profitieren

Zumal es fraglich ist, inwieweit sich Paffett und Rockenfeller in Schlagdistanz hätten manövrieren können, ohne den Vorteil der blauen Flaggen zu genießen. Doch Audi setzte sich zu Wehr: Ekström glückte es, sich genügend Luft zu verschaffen, um als Führender die Boxengasse zu verlassen. Mortara ordnete sich dagegen hinter Paffett ein, was letztlich die Konstellation für den nächsten Skandal schaffte. 

Audi-Lenker Mortara fuhr fortan mit dem offenem Visier und verkalkulierte sich beim Anbremsen der ersten Kurve. Bei diesem waghalsigen Überholversuch kegelte der Italiener den Silberpfeil von der Strecke. Doch Paffett zauderte nicht und revanchierte sich postwendend: Im finalen Umlauf presste sich der Brite mit aller Gewalt an dem Audi-Piloten vorbei, wobei es zum Feindkontakt kam und die zwei Streithähne mit der Mauer kollidierten. Das Aus für beide Fahrer.

Derweil dürfte sich Mercedes-Markenkollege Christian Vietoris ins Fäustchen lachen. Denn der deutsche Jungspund erbte den Bronzerang und platziert sich in der Tabelle vor Paffett, der allem Anschein nach bei den Stuttgartern als Nummer-eins-Fahrer gehandelt wird. Hauptnutznießer war allerdings Rockenfeller, welcher die Meisterschaftsführung verteidigt hat – wenngleich auf zweifelhafte Art und Weise.