Le Mans: Trauriger Triumph für Audi

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Die Siegertrophäe wandert abermalig nach Ingolstadt. Audi erfocht in Le Mans einen traurigen Triumph, welcher von Allan Simonsens Tod überschattet wurde. Tom Kristensen, Allan McNish und Loïc Duval leisteten sich keinerlei Fehler. Toyota errang Silber, vertändelte jedoch eine zweite Podiumsplatzierung.

Der Jubel fiel verhalten aus. Mit ernster Mine rollten Allan McNish, Loïc Duval und Audi-Motorsportchef Doktor Wolfgang Ullrich nach der Zielankunft in Le Mans durch die Boxengasse. Als Schlussfahrer Tom Kristensen aus dem Cockpit kletterte, küsste der Rekordsieger seinen Helm. Vor der Podiumszeremonie hielt Jacky Ickx eine bewegende Rede. Sodann lagen sich die Le-Mans-Legenden in den Armen – ein trauriger Triumph für den Ingolstädter Hersteller.

Obwohl der Däne Kristensen gemeinsam mit Weggefährte Allan McNish und Lokalmatador Duval den zwölften Gesamtsieg für Audi erfocht, war dem Fahrertrio am Sonntagnachmittag nicht zum Feiern zu mute. Denn der tragische Todesfall von Allan Simonsen umflorte den Klassiker an der Sarthe. In einigen wenigen emotionale Worten widmete Kristensen seinen neunten Erfolg seinem Freund und Landsmann, der am Vortag tödlich verunglückt war. 

„Für mich war Le Mans diesmal voller sehr persönlicher Emotionen“, erklärte Kristensen bei der Siegerehrung. „Ich bin stolz, für das beste Team der Welt zu fahren. Das gilt für alle Teamkollegen, für alle Mitarbeiter in Ingolstadt und Neckarsulm und für das Audi Sport Team Joest. Sie ermöglichen es uns, einen Traum zu verwirklichen. Jetzt ist dieser Traum wieder wahr geworden – das schnellste und härteste Rennen unter der Leitung von Doktor Wolfgang Ullrich zu gewinnen. Leider haben wir gestern jemanden verloren, der den gleichen Traum hatte.“

„Er war ein sehr bescheidener und netter Mensch“, beschrieb Kristensen seinen guten Freund. „Deshalb erlebe ich diesmal Höhen und Tiefen. Was meinen neunten Sieg anbelangt: Ich fahre mit der Entschlossenheit und der Ambition, die mir mein Vater mitgegeben hat. Er verstarb im März. Vor seinem Tod hat er mir gesagt, dass ich Le Mans in diesem Jahr mit meinen Teamkollegen gewinnen werde. Ich hoffe, dass ich einen Tages noch einen anderen Sieg mit Loïc und Allan feiern kann, den ich dann meinem Vater widmen kann. Denn diesen Le-Mans-Erfolg widme ich Allan Simonsen.“ 

Toyota glänzt in der Startphase 

Das Audi-Ensemble mit der Startnummer zwei überstand den längsten Tag des Jahres makellos und leistete sich trotz wechselhafter Wetterbedingungen im Laufe des Rennens keinerlei Fehler. Nichtsdestotrotz zieht der bayrische Konstrukteur eine zwiespältige Bilanz, denn die beiden Schwesterfahrzeuge fielen bereits am Samstagabend technischen Gebrechen anheim. Zudem waren die Konkurrenten von Toyota während der Startphase in der Lage, die Seriensieger massiv unter Druck zu setzen.

Schlussendlich verwalteten Kristensen, McNish und Duval aber im Laufe der Distanz zweimal rund um die Uhr ihre Führungsposition. „Wir wussten, dass es für uns in diesem Jahr nicht zuletzt aufgrund der Reglementvorgaben sehr schwierig werden würde“, resümiert Ullrich im Anschluss an das Gefecht. „Toyota war wie erwartet ein sehr starker Gegner – aber unser Audi R18 e-tron quattro war eine Klasse für sich.“

Bereits im Vorfeld der 24 Stunden von Le Mans zeichnete sich ab, inwieweit die Strategie eine Schlüsselrolle spielen würde. Denn die ACO-Regelhüter hatten Toyota im Zuge der Fahrzeugeinstufung ein größeres Tankvolumen eingeräumt, weshalb die Chance des japanisch-deutschen Herstellers darin bestand, den Nachteil auf der Strecke mittels Spritverbrauch und einer geringeren Anzahl an Tankstopps zu kompensieren.

Audi strauchelt in den Abendstunden

Erwartungsgemäß verschaffte sich Audi in der Qualifikation die beste Ausgangslage für das Rennen. Schon am Mittwochabend sicherte Duval mit einer Fabelzeit die Poleposition vor seinen beiden Stallgefährten. Jedoch offenbarte Toyota im Rennen schließlich sein wahres Potenzial: Zunächst verstolperte McNish den Start, womit Kollege André Lotterer den Führungsrang übernahm. Zudem positionierten sich die Toyota-Piloten Nicolas Lapierre und Anthony Davidson an zweiter und dritter Stelle.

In den Abendstunden suchte das Audi-Lager obendrein der Defektteufel heim. Zunächst löste sich bei Oliver Jarvis die Lauffläche des rechten Hinterrads; anschließend suchte Titelverteidiger Benoît Tréluyer seine Box zu einem längeren Garagenbesuch auf, denn die Mechaniker mussten die Lichtmaschine auswechseln. Zuvor hatten die Audi-Schützlinge die Dreifachführung nach einem holprigen Start zurückerobert, denn das Toyota-Doppel hatte sukzessive den Anschluss verloren.

Damit okkupierte Toyota vorläufig wieder die verbleibenden Podiumsränge, während Kristensen, McNish und Duval sich an der Stirn des Klassements platzierten. Dahinter rangierten Jarvis, Lucas di Grassi und Marc Gené. Im Laufe der Nacht pendelten sich die Rundenzeiten der Kontrahenten ein, weshalb die Akteure ihre Positionen festigten. Einzig die amtierenden Langstrecken-Weltmeister Lotterer, Tréluyer und Marcel Fässler brillierten mit einer beispiellosen Aufholjagd.

Lapierre verschätzt sich in der Porsche-Kurve

Erst auf der Zielgeraden bahnte sich ein Herzschlagfinale an. Überdies sorgte wiederholt einsetzender Regen für schwierige Streckenverhältnisse. Im Schlusssprint erkämpfte Jarvis alsbald den Bronzerang, aber Toyota-Rivale Lapierre setzte sich zu Wehr und quetschte sich wieder an dem Audianer vorbei. Der nachfolgende Boxenstopp führte jedoch eine abermalige Positionsverschiebung herbei. 

Auf rutschiger Piste unterlief Lapierre letztlich ein Fahrfehler, woraufhin der Franzose in den Reifenstapeln der Porsche-Kurve strandete. Obzwar der Toyota-Werksfahrer zurück an die Box humpelte, belegten Lapierre, Alexander Wurz und Kazuki Nakajima lediglich den vierten Rang. „Leider leistete ich mir einen Fehler und das kostete uns jede Chance auf einen Podestplatz“ kommentierte Lapierre das Intermezzo. „Wir mussten Druck machen, um noch Dritte zu werden, doch leider ging das nicht auf. Wir wurden Vierte und das ist eine Enttäuschung, doch als ich das Auto zurückbrachte, war ich unglaublich stolz auf die Mechaniker.“

Die Stallgefährten Davidson, Sébastien Buemi und Stéphane Sarrazin sicherten hingegen den zweiten Podestplatz. Ferner rundete sich Toyota-Autler Buemi im Endspurt gegen Kristensen gar mit einem spektakulären Manöver zurück. „Dieses Rennen war mit den gegebenen Bedingungen für uns, und alle anderen auch, eine echte Herausforderung“, fasst der Franzose zusammen. „Wir wussten, dass jederzeit ein Fehler würde passieren können, doch meine Teamkollegen fuhren ein fantastisches Rennen und das Team machte einen so tollen Job.“

Strakka bezwingt Rebellion-Toyota

Selbst in der Chefetage beweist Toyota Sportsgeist. „An erster Stelle möchte ich Audi zum Sieg gratulieren“, honoriert Toyota-Präsident Yoshiaki Kinoshita die Leistung der Ingolstädter. „Es war großartig mit ihnen in einem so spannenden Rennen um den Sieg zu kämpfen. Ich bin heute sehr stolz auf unser Team. Wir haben wie eine echte Mannschaft gemeinsam gekämpft und uns dieses Resultat verdient. Wir gaben zu keinem Zeitpunkt nach oder gar auf, selbst wenn die Umstände schwierig wurden. Beide Autos ins Ziel zu bringen und einen Podestplatz erkämpft zu haben, ist sehr zufriedenstellend.“ 

Die Vorjahressieger Lotterer, Tréluyer und Fässler belegten letzten Endes den fünften Rang. „Für uns verlief das Rennen unglücklich“, gesteht Lotterer. „Das war schade, denn wir hatten ein absolut schnelles Auto. Leider haben wir wegen eines technischen Problems die Führung verloren. Ben, Marcel und ich haben danach alles gegeben, aber mit zwölf Runden Rückstand ist es sehr schwierig, noch weit nach vorn zu fahren. Die Hauptsache ist, dass ein Audi gewonnen hat. Wir werden es im nächsten Jahr wieder versuchen.“

In der Wertung der Privatiers reüssierte überraschend die Honda-Abordnung Strakka Racing. Nick Leventis, Danny Watts und Johnny Kane beendeten das Rennen als Gesamtsechste. Rebellion-Toyota erlebte dagegen ein Rennwochenende zum Vergessen: Andreas Belicchi, Mathias Beche und Cheng Congfu schieden nach einem Abflug aus. Nick Heidfeld, Nicolas Prost und Neel Jani haderten wiederum mit technischen Gebrechen.