LMP1: Der Trend zu breiten Vorderreifen

Peugeot hatte sie, Audi und Toyota haben sie, Rebellion hat sie und nun auch HPD. Dieses Jahr werden alle Teilnehmer der Langstrecken-WM in der LMP1 mit breiten Vorderreifen unterwegs sein. Aber was bringt das? Und: Warum wird es gemacht?

Peugeot hatte sie, Audi und Toyota haben sie, Rebellion hat sie und nun auch HPD. Dieses Jahr werden alle Teilnehmer der Langstrecken-WM in der LMP1 mit breiten Vorderreifen unterwegs sein. Aber was bringt das? Und: Warum wird es gemacht?

Bei einem klassischen Rennfahrzeug sind die Vorderreifen im Vergleich zu den Hinterreifen relativ schmal. Dies wird heute immer noch bei den LMP2, bei den GT und sogar in Formel-Rennserien praktiziert. Bei den LMP1 gibt es nun aber schon einige Jahre den Trend, die Vorderreifen immer breiter zu gestalten. Aber warum funktioniert das?

Der Anfang: Acura verwendet vier identische Reifen

Das Thema der breiten Vorderreifen nahm seinen Anfang mit dem Acura-LMP1-Projekt im Jahr 2009. Der ARX-02a war nämlich seinen Konkurrenten leistungsmäßig weit unterlegen. Aber er hatte einen Vorteil: Der leichte Motor erlaubte es, den Schwerpunkt des Fahrzeugs nach vorne zu schieben, auch indem man das Ballastgewicht weit nach vorne schob. Nun war der Schwerpunkt nicht mehr hinten und die Hinterräder entlastet, während prozentual mehr Last auf den Vorderreifen lag.

Dies nutzte Nick Wirth, der Designer dann derart aus, dass er dem Fahrzeug auch vorne Hinterreifen verpasste. Nun konnten die Vorderräder wesentlich mehr Seitenkräfte aufnehmen und die Fahrer somit früher ans Gas und schneller durch die Kurven. Dieses Konzept konnte damit gegen den Audi R15 und den Peugeot 908 sogar die Poleposition in Sebring holen.

Dies funktionierte aber nur, weil das Fahrzeug nicht nur einen kürzeren Radstand hatte als die Konkurrenz, sondern komplett darauf getrimmt war, die Vorderreifen derartig auszunutzen und damit die Hinterreifen, welche sonst die Hauptlast der Seitenführung in Kurven sowie des Beschleunigens übernehmen, zu entlasten. Es hätte für Audi und Peugeot mit den schweren Zehn- beziehungsweise Zwölf-Zylinder-Dieselmotoren einfach keinen Sinn ergeben, das Konzept zu kopieren.   

Auch für die Privatiers hätte dies wenig Sinn gehabt, da der Aufwand ein Auto derartig umzugestalten gewaltig wäre und die meisten mit Hubraumstärkeren, schwereren Motoren unterwegs waren als der Acura.

2011: Kleinere Motoren führen zu neuen Verhältnissen

Als im Jahr 2011 die aktuellen Motorregeln in Kraft traten, änderte sich das Bild. Schon auf den ersten Aufnahmen der neuen Fahrzeuge zeigte sich der Trend, die Reifen breiter zu konstruieren. Möglich machten es die neuen Motoren, welche kürzer geworden waren sowie Weiterentwicklungen am Getriebe, wodurch auch diese abgespeckt hatten.

Allerdings waren Audi und Peugeot einen etwas anderen Weg gegangen und hatten spezielle Reifen für die Vorderachse entwickeln lassen, welche nicht ganz so breit waren, wie die Hinterreifen. Acura konnte das Budget hierzu noch nicht alleine aufbringen.

Noch im gleichen Jahr zog Rebellion nach, da auch der Toyota-Motor im Heck des Lola vergleichsweise leicht war. Die Vorteile zeigten sich auf der Strecke recht schnell und Rebellion gewann damit fast eine halbe Sekunde. Auch Aston Martin schickte den glücklosen AMR-One auf breiten Vorderreifen ins Rennen, genau wie ein Jahr später der Pesacarolo.

Ausgerechnet der Erfinder der breiten Vorderreifen ließ sich jedoch Zeit. Der aus einem früheren LMP2 weiterentwickelte HPD hatte nicht die richtigen Grundlagen (eine mehr vorderradorientietere Gewichtsverteilung) um diese Änderung einfach ans Auto zu schrauben. Außerdem müssen auch die Radaufhängung und die Verkleidung entsprechend angepasst werden.

In diesem Jahr bekommt aber auch der HPD seine breiten Vorderreifen. Das Muscle-Milk-Team aus der ALMS wurde zuletzt in Sebring mit dem entsprechenden Update gesichtet und konnte die Rundenzeiten im Vergleich zum Vorjahr um gut eine Sekunde verbessern. Ob das allerdings gegen Rebellion in der ALMS und Audi beim Saisonauftakt reichen wird, muss man noch abwarten.

Problem des Sichtfeldes

Vor allem im Jahr 2011 gab es auch massive Kritik an den breiten Vorderreifen, welche sich in erster Linie auf das Thema Sicht bezogen. Vorderreifen in der LMP1 dürfen bis zu 28 Zoll, das sind über 70 Zentimeter, als Durchmesser haben. Die Verkleidung muss entsprechend, also fast 80 Zentimerter, hoch sein, um ausreichend Weg für die Federung zur Verfügung zu haben. Da das Fahrzeug insgesamt nur etwa 110 Zentimeter hoch ist und bei Audi und auch Peugeot damals schon die Lufteinlässe oberhalb des Cockpits lagen, kann man sich vorstellen, dass der Kopf des Fahrers wohl kaum oberhalb dieser 80 Zentimeter sein wird. Der Fahrer kann also nicht über die Radkästen hinweg schauen, welche darüber hinaus wegen der breiten Reifen und deren notwendiger Freiheit für Lenkbewegungen sehr breit werden.

Gerade 2011 kam es dabei zu mehreren Unfällen, die den Verdacht nahe legten, dass die Fahrer der LMP1-Fahrzeuge ihre Unfallgegner aufgrund der breiten Reifen schlicht übersehen haben. Als Beispiel ist hier vor allem der Unfall von Alan McNish zu nennen, der in eine scheinbare Lücke stach die ihm von André Lotterer eröffnet wurde, wobei er den vorne rechts fahrenden Ferrari vollkommen übersah und von diesem getroffen wurde. Ob schmalere Reifen den Unfall aber wirklich verhindert hätten, steht auf einem anderen Blatt.

Problem der Kosten

Die späte Einführung der breiten Vorderreifen bei HPD macht eines deutlich: Die Kosten für diesen Schritt sind enorm. Zwar sind die Reifen mittlerweile am Markt verfügbar, wenn auch vermutlich etwas teurer als „normale“ Vorderreifen, insbesondere aber, wenn ein Fahrzeug nachträglich mit diesen ausgestattet werden soll, sind jedoch größere Anpassungen am Fahrzeug notwendig.

Zum einen muss die Verkleidung angepasst werden, um in den Radhäusern genug Platz zu lassen, auch für die Lenkbewegungen. Dies zieht wiederum Arbeit im Bereich Computersimulation und Windkanal nach sich. Schließlich will man nicht zu viel Luftwiderstand hinzubekommen und Abtrieb verlieren, da sonst der Vorteil des größeren mechanischen Grip wieder durch die verschlechterte Aerodynamik aufgefressen wird.

Es ist auch nicht damit getan, einfach neue Felgen ans Fahrzeug zu schrauben, da LMP ja eine maximalbreite von 200 Zentimeter haben und entsprechend breitere Reifen weiter nach innen ins Fahrzeug ragen müssen. Dies erfordert eine komplette Neukonstruktion des Radträgers, da ansonsten die Querlenker die Bewegung der Felge einschränken könnten. Dies sowohl beim Einfedern, wie auch beim Lenken. Außerdem will man bei dieser Aktion auch den Lenkrollradius nicht ändern. Der Lenkrollradius ist der Abstand zwischen dem Punkt, an dem die verlängerte Verbindungslinie der Aufnahme des oberen und des unteren Querlenkers den Boden berührt und der Mitte des Reifens. Dieser hat massiven Einfluss darauf, wie das Fahrzeug Kräfte, die aus Federbewegungen kommen, im Lenkrad an den Fahrer weitergibt.

Auch die chassisseitige Radaufhängung muss oft modifiziert werden, da sich wenn die Radträger nach innen kommen die Längen der Querlenker ändern und entsprechend sich das Sturzverhalten beim Einfedern ändern wird. Hinzu kommt, dass man, je breiter der Reifen ist, umso weniger Sturzänderung haben will, da ja sonst die Aufstandsfläche des Reifens kleiner wird und man den Vorteil der breiteren Reifen wieder verliert.

All diese Punkte können beachtet werden, wenn man das Fahrzeug von Grund auf neu konstruiert, aber eine nachträgliche Adaption wird hier zwangsläufig teuer.

 


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