BoP-Einstufung: Das Schreckgespenst der GT-Szene

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Es ist das Schreckgespenst der GT-Szene: die Balance of Performance. Das Prinzip zur Einstufung von GT3-Fahrzeugen verursachte anfangs einen veritablen Aufschwung, aber gerät zunehmend in die Kritik einiger Beteiligten. Marc Hennerici analysiert für SportsCar-Info die BoP anhand von drei Leitfragen.

Ein Gespenst geht um in der GT-Szene – das Gespenst der Balance of Performance. Widmeten Sprachkritiker dem Rennsport ein Unwort des Jahres, wäre es mit Gewissheit „Balance of Performance“. In der vergangenen Saison wurde die Einstufung der GT3-Fahrzeuge vielerorts kontrovers diskutiert und in manchem Fahrerlager zum Erisapfel. Primär betroffen: die Akteure des GT Masters und der VLN-Langstreckenmeisterschaft.

Das gleichermaßen simple wie erfolgsversprechende Konzept, verschiedene Rennwagen mithilfe der Aerodynamik, der Restriktoren, dem Gewicht und gegebenenfalls auch mit dem Ladedruck anzugleichen, gerät zunehmend in die Kritik. Dabei galt das Konzept anfangs als Garant für Markenvielfalt und wachsende Teilnehmerfelder, weshalb die GT-Gemeinde einen enormen Aufschwung erlebte. Seitdem die SRO die GT3-Europameisterschaft in der Saison 2006 einführte, wurden in Summe 33 GT3-Modelle homologiert.

Mittlerweile wenden Regelhüter diverser nationalen und internationalen Wettbewerbe das Prinzip der Balance of Performance an – darüber hinaus auch die VLN-Serie. Doch die Ambitionen und Politik der Hersteller höhlen das Konzept streckenweise aus. Entwicklungen steigern die Kosten, taktische Raffinessen verhindern eine adäquate Anpassung und vermeintliche Fehleinstufungen schüren Konflikte unter den Beteiligten. Nach wenigen Jahren zeigt sich die Kehrseite der BoP-Medaille. 

Dennoch bedarf es einer differenzierten Analyse, um ein Urteil über diese disputable Thematik zu fällen. Im Gespräch mit SportsCar-Info wägt GT-Experte Marc Hennerici Vor- und Nachteile der Balance of Performance ab, erörtert Alternativen zum Austarieren der Fahrzeuge und deckt Defizite im Einstufungssystem auf. Eine Bestandsaufnahme nach über einer halben Dekade „Balance of Performance“. 

SportsCar-Info: „Welche Vor- und Nachteile birgt die Balance of Performance? Und gilt dies sowohl für den semiprofessionellen als auch den professionellen Rennsport?“

Hennerici: „Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Hersteller haben durch die BoP die Möglichkeit, dem Fahrzeugkonzept des jeweiligen, dem GT3-Rennfahrzeug zugrundeliegendem Serienwagen, treu zu bleiben. Die Rennfahrzeuge sind somit sehr authentisch und weisen in puncto Hubraum, Zylinderanzahl sowie der Anordnung des Motors oftmals dieselben Charakterzüge wie deren Vorbilder auf der Straße auf. Die Vielfalt an Konzepten macht einfach Spaß. Die Fahrzeuge haben unterschiedliche Sounds und bieten für die Fans die Möglichkeit, sich mit ‚ihrer‘ Marke zu identifizieren. 

Ein weiterer Vorteil der BoP sollte darüber hinaus vorhanden sein; leider ist er es mittlerweile nicht mehr. Man sollte eigentlich davon ausgehen, dass das Konzept der BOP eine Entwicklungsspirale verhindert. Teure Entwicklungen würden bei einer konsequenten Umsetzung der BoP unnötig sein, da das jeweilige Fahrzeug mittels eines funktionierendem Balancierung wieder auf das Basislevel gebracht würde. Und genau bei dieser Thematik beginnen die Nachteile der BoP. Die Fahrzeuge sind in den letzten Jahren je nach Strecke, grob geschätzt drei bis fünf Sekunden schneller geworden. Dazwischen liegen natürlich mehrere Entwicklungsstufen. Das macht das ganze Spiel verdammt teuer, und die Geschichte des Motorsport scheint sich einmal mehr zu wiederholen. 

Man kann natürlich argumentieren, dass man man keine sechs oder sieben Jahre alten Modelle im Feld, womöglich noch an der Spitze haben möchte. Dieses Problem ließe sich aber sehr einfach mittels der Homologation regeln. International könnte die Homologation nach drei Jahren auslaufen, während diese Fahrzeuge in den nationalen Serien noch zwei weitere Jahre laufen könnten. Wenn man auf den technischen Fortschritt auf keinen Fall verzichten möchte, so hätte man immer noch die Möglichkeit, den Basisspeed der Fahrzeuge auf gewissen Refernzstrecken alle drei Jahre, um vielleicht eine Verbesserung von einer Sekunde pro Runde anzuheben. 

Durch diese Entwicklungsspirale haben sich die großen Hersteller zudem Vorteile verschafft, welche in den Anfangsjahren der GT3-Ära nicht gegeben war. Die Sportabteilungen von Mercedes, BMW und Audi haben sich in dieser Zeit zudem zu erfolgreichen Profitcenter gewandelt, die einen hervorragenden Kundensupport bieten, den kleine Manufakturen natürlich nicht leisten können. Das ist natürlich das gute Recht der Hersteller, dennoch wird bei dieser Betrachtung klar, dass die Hersteller am allerwenigsten ein Interesse daran haben, das System der mittlerweile jährlichen Updates zu verändern. 

Wenn man sich die Motorsportgeschichte genauer betrachtet, so muss man jedoch das evidente Risiko im Blick haben, dass diese Spirale schnell zum Ende dieser einzigartigen Ära führen kann. Unter den Folgen würden dann auch die Großen leiden, der gesamte Motorsport würde nachhaltig beschädigt. Ich wünsche mir, dass dies verhindert werden kann. Dennoch plädiere ich dafür, die GT4 nicht fallen zu lassen und sich für den Fall der Fälle als Back-up zu sichern.“ 

SportsCar-Info: „Inwieweit lässt sich die Theorie der Balance of Performance tatsächlich in die Praxis umsetzen? Denn augenscheinlich funktioniert das Konzept in der BES-Meisterschaft, während die Einstufungen im GT-Masters-Championat und in der VLN-Langstreckenmeisterschaft gelegentlich zu Unstimmigkeiten führen.“ 

Hennerici: „Das größte Problem ist wie so oft im Motorsport das Geld. Eine ernsthaft gute Balance of Performance kostet Unmengen an Geld. Wer soll das bezahlen? Der Promotor, die FIA, die Hersteller? Selbst das jetzige System verschlingt bereits sehr viel Geld. Eine Verbesserung der Balance of Performance ließe sich zwar bis zu einem gewissen Grad, ohne hohen finanziellen Aufwand, durch ein intelligenteres Handling und eine optimierte Analyse der Renn- und Trainingsergebnisse verbessern. Eine Verbesserung der BoP erfordert aber zeitgleich immer wieder teure Testfahrten. Mir ist derzeit unklar, wer die Bereitschaft aufbringen könnte, für diesen Mehraufwand aufzukommen. 

Bisher habe ich ein weiteres Problem verschwiegen. Das System der BoP neigt oftmals dazu, nicht wirklich die Fahrzeuge zu balancieren, stattdessen wird die Leistung der Fahrer balanciert. Es bedarf stundenlanger Datenanalyse, um tatsächlich sagen zu können, wie viel von einem gewissen Zeitunterschied vom Fahrzeug und wie viel vom Kutscher stammt. Es ist nicht zu vermeiden, dass es durchaus vorkommen kann, dass ein Fahrzeug eingebremst wird, obwohl es leistungsmäßig gegebenenfalls auf dem gleichen Niveau ist wie die Konkurrenz und lediglich das Fahrerduo den Unterschied ausgemacht hat. 

Auf die BoP in den drei genannten Meisterschaften, möchte ich aufgrund meiner eigenen Befangenheit nicht im Detail eingehen, da oftmals auch andere Faktoren eine Rolle spielen können. Auch serienübergreifende Effekte spielen in diesem komplexen Konstrukt eine Rolle. Beispielsweise spielte im Jahr 2012 die Einstufung der Fahrer eine erhebliche Rolle. Der ADAC schafft als Konsequenz richtigerweise für das Jahr 2013 die sinnlose Unterscheidung zwischen Platin- und Goldfahrern ab. Auch im Silberbecken tummeln sich zu viele Fahrer herum, die dort nicht wirklich hingehören. Meistens sind dies junge Fahrer aus Formelserien oder Markenpokale, die eine professionelle Ausbildung erhalten haben.

Mich wundert es daher in keinster Weise, dass viele junge Kerle aus den Porsche-Markenpokalen, welche in den GT3-Klassen zunächst unter Silber kategorisiert sind und dementsprechend mit weniger Gewicht fahren dürfen, im Jahr 2012 derart glänzen konnten. Die Jungs fahren teilweise 20 Porsche-Cup- und zehn Supercup-Rennen im Jahr, kennen das Auto in und auswendig und treten dann in der GT3 zudem auch noch auf einem Porsche an.

Es ist klar, dass in dem Fall nicht die BoP des Fahrzeugs das Problem darstellt. Die Ursache ist offensichtlich in einem anderen Bereich als der BoP zu suchen. Allerdings würde man auf der Rennstrecke mit Sicherheit beobachten können, wie Teamchefs und Fahrer unisono und lauthals nach einer Einbremsung des Fahrzeugtyps verlangen würden. Das Beispiel zeigt auch, dass es keinen eindeutigen Buhmann in dem Business gibt. Die Herausforderung BoP ist dafür zu vielschichtig. 

Mein bevorzugter Ansatz kernt in der Idee, das Level der Fahrzeuge für eine gewisse Zeit von etwa drei Jahren einzufrieren, sodass die Teams finanzielle Planungssicherheit haben. Kombiniert mit einem zurückhaltenden Einsatz von Erfolgsgewichten in den Meisterschaften kann man bereits viel bewirken.“

SportsCar-Info: „Welche Alternativen gibt es zur Balance of Performance? In der ehemaligen FIA-GT-Meisterschaft haben die Regelhüter beispielsweise auf die gewöhnliche Verteilung von Zusatzgewichten vertraut. In der GT-Open-Serie und der Supercar Challenge werden wiederum Zusatzstandzeiten beim Pflichtstopp auferlegt. Braucht es darum im Laufe der Saison zwangsläufig solch nuancierte Einstufungen?“ 

Hennerici: „Wie beschrieben halte ich den zurückhaltenden Einsatz von Erfolgsgewichten für sinnvoll. Mindeststoppzeiten verfälschen meiner Ansicht nach die Rennen zu sehr. Die strategischen Optionen, die sich dadurch ergeben, führen dazu dass Fahrzeuge in einem Zweikampf nicht mehr notwendigerweise überholen müssen, sondern beispielsweise aufgrund einer geringeren Standzeit auf die Boxenstopps vertrauen können. Das wollen die Fans nicht sehen, sie wollen echte, faire und transparente Zweikämpfe. Rennsport muss pur und simpel sein, man werfe nur einen Blick über den großen Teich. 

Zur letzten Frage: Nuancierte Einstufungen werden bei einem Reglement, welches unterschiedliche Konzepte erlaubt, immer nötig sein. Möchte man auf Einstufungen verzichten, verbleiben zwei Konzepte, die beide ihre Vor- und Nachteile haben. Das Konzept der Formel 1 ist vielleicht das beste und interessanteste, allerdings auch das teuerste. Aufgrund der enormen Ressourcen, die in der F1 verschlungen werden, bietet die Motorsportlandschaft nur Platz für eine solche Serie. 

Die WEC macht einen vernünftigen Eindruck, sie wird in Zukunft allerdings noch viele Hürden bewältigen müssen. gegenüber dem übermächtigen F1-Imperium spielt die WEC eine noch unbedeutende Rolle, Le Mans ausdrücklich ausgenommen. Auch in der WEC droht die Balancierung unterschiedlicher Konzepte zu einem Stolperstein für diese junge Meisterschaft werden zu können. Nichtsdestotrotz muss erwähnt werden, dass die Rennen sensationell sind, aber das waren die F1-Rennen ebenso. 

Das zweite Konzept welches auf eine BoP verzichten kann, ohne Betrachtung der Markenpokale, sind Meisterschaften die ein enges eingefrorenes Korsette als Reglement zur Grundlage haben. Die verschiedenen Fahrzeuge sind alle konzeptgleich (Leistung, Hubraum, Antriebsart, et cetera …). Dies hat enorme Vorteile, weshalb die DTM nicht so leichtfertig abgetan werden darf, wie dies oftmals getan wird. Die DTM hatte lange Zeit andere Probleme, aber das Konzept der ‚gleichen Autos‘ hat definitiv seinen Charme, bedenkt man nur den Ärger, der mit der BoP verbunden ist. Ein Indiz für die Vorteile, die dieses System bietet, verdeutlicht ein Blick auf die NASCAR und der Superstar V8. Auch diese Meisterschaften setzen auf dieses Konzept und nicht ohne Erfolg. 

Dennoch würde ich mir wünschen, dass man gemeinsam zu dem Standpunkt kommt, dass das Konzept der BoP seit 2006 einen sehr guten Start hingelegt hat. Nun ist es an der Zeit, die vergangenen sechs Jahre zu analysieren und die notwendigen Anpassungen durchzuführen, da sich die Strukturen wie oben beschrieben, massiv verändert haben. Im Jahre 2008 durfte ein GT3 Fahrzeug nicht mehr als 300.000 Euro kosten, heute sind wir weit darüber hinaus.

Langfristig muss man befürchten, dass es der GT3 so ergeht, wie allen anderen europäischen Rennserien in der Vergangenheit auch. Scheitert die BoP, scheitert die GT3. Vermutlich wird die GT4, falls sie bis dahin überlebt, einen Ausweg bieten. Dann startet das ganze Spiel wieder von vorne.“ (schmunzelt)