Glückt Toyota in Silverstone das Bravourstück? Oder gibt Audi eine Zugabe? Wenngleich die Ingolstädter im Juni obsiegten, demonstrierten die Frischlinge aus Fernost ihr Potenzial. Zudem stellt der Kurs in Northamptonshire andere Ansprüche an die Hybridsysteme. Derweil wurde der Benzinsektor auf ein Quartett dezimiert.
Zwei Monate sind mittlerweile ins Land gegangen, seitdem sich Audi und Toyota in Le Mans im Wettlauf der Hybridtechnologien erstmals ein Tête-à-tête-Duell lieferten. Der Verlauf dieses Stelldicheins der Rennsport-Avantgarde ist bekannt – die Ingolstädter vollzogen einen beispiellosen Siegeszug an der Sarthe und bejubelten einen Dreifacherfolg. Dennoch wähnen sich die Techniker im Hause Audi beim nächsten Wertungslauf der Langstrecken-WM in Silverstone keineswegs in Sicherheit.
Schließlich werden die Karten auf der britischen Insel mehr oder minder neu gemischt. Einerseits weist der Traditionskurs in Northamptonshire eine durchweg andere Charakteristik auf als die Landstraßen im Westen Frankreichs. Andererseits spielt die Vergabe der Bremszonen nach FIA-Vorgaben eine essentielle Rolle, die wiederum von Rennen zu Rennen und von Strecke zu Strecke unterschiedlich ausfallen.
Auf der englischen Piste hat der Automobilverband lediglich vier Passagen festgelegt, zwischen denen die beim Bremsen gewonnene Energie in Leistung umgewandelt werden darf. Bleibt lediglich die Frage offen, welchem Hybridkonzept die Aufteilung auf dem Hochgeschwindigkeitskurs im Norden Londons zupasskommt. Dem hybriden Selbstzünder von Audi oder dem zwittrigen Benzinmotor von Toyota?
„In Silverstone erwarte ich einen sehr engen Kampf mit Toyota“, prophezeit Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich. „Wir haben die Rundenzeiten in Le Mans analysiert. Überträgt man dieses Wissen auf die spezifischen Anforderungen in Silverstone, dann müssen wir davon ausgehen, dass unser Gegner Toyota sicher auf hohem Niveau fahren wird. Entscheidend wird also sein, wer sechs Stunden lang die bessere Leistung abrufen kann und allen Problemen aus dem Weg geht.“
Toyota mit verbesserter Aerodynamik
Intermezzi auf der Strecke zu vermeiden, offenbarte sich im Toyota-Lager jedoch als ein eklatantes Manko. Fiel Anthony Davidson noch unverschuldet einer Kollision mit einem Ferrari anheim, überschätzte sich Nicolas Lapierre im Überrundungsverkehr und kegelte sich selbst aus dem Rennen. Dabei agierte der pazifische Konstrukteur zeitweise auf Augenhöhe mit dem arrivierten Hersteller aus Bayern.
Bereits in der Qualifikation setzte Toyota erste Fanale, am Rennsamstag brachten die Japaner die Rivalen aus Süddeutschland fallweise in Bredouille. Zudem hatten die Toyota-Prototypen bei den Geschwindigkeitsmessungen auf der Hunaudières-Geraden die Nase vorne. In Vorbereitung auf das nächste Gefecht in Silverstone wurde der TS030-Bolide nun mit einem neuen Aerodynamikpaket ausgestattet, das während eines zweitägigen Tests im spanischen Aragon erprobt wurde. Die neuen Komponenten verhelfen dem originären Vehikel zu mehr Anpressdruck.
„Bei unserem Auftritt in Le Mans haben wir eine Menge gelernt“, zeigt sich Teampräsident Yoshiaki Kinoshita hochgemut. „Das Rennen hat gezeigt, dass wir in der Lage sind, ganz vorne mitzufahren. Daher fahren wir voller Zuversicht und Motivation nach Silverstone, wo wir ein starkes Ergebnis abliefern wollen.“ Das einzige Einsatzfahrzeug aus den Reihen von Toyota wird von den Stammfahrern Alexander Wurz, Nicolas Lapierre und Kazuki Nakajima pilotiert.
Indes rüstet Audi planmäßig ab. Zwar setzen die Herren der Ringe ihr zweigleisiges Engagement fort, doch bringt der Le-Mans-Sieger lediglich eine Hybrid-Variante und eine Diesel-Version des R18-Renners in Silverstone an den Start. Den progressiven Prototyp mit der Startnummer eins teilen sich das zweifache Sarthe-Siegertrio Marcel Fässler, André Lotterer und Benoît Tréluyer, während sich die Audi-Urgesteine Tom Kristensen und Allan McNish im konventionellen Heizölrenner abwechseln.
Letztgenannte reisen überdies mit Rückenwind gen Westen. Mit 77 Punkten führt das dänisch-schottische Gespann die Fahrerwertung vor den Markenkollegen Fässler, Lotterer und Tréluyer an, welche zwar in Le Mans triumphierten, aber in Sebring Federn ließen. „Tom (Kristensen) und ich führen die Fahrer-Weltmeisterschaft an. Bevor es nach Brasilien geht, wollen wir bei meinem Heimspiel die Tabellenführung konsolidieren“, proklamiert McNish. „Silverstone ist ein sehr kniffliger Kurs. Man muss die schnellen Kurven beherrschen, darf aber auch in den langsamen Ecken keine Zeit verlieren. Dasselbe gilt für unsere Techniker.“
Lediglich vier Fahrzeuge im Lager der Ottomotoren
Unterdessen blutet die konservative Benzinfraktion peu à peu aus. Da die Equipe von Le-Mans-Ikone Henri Pescarolo abermals in finanzielle Schieflage geraten ist, musste die französische Traditionsmannschaft beide Nennungen von der Teilnehmerliste zurückziehen. Letzter Hoffnungsschimmer des Sarthe-Haudgegen ist das Gastspiel am Fuße des Berges Fuji, wo Kooperationspartner Dome im eigenen Lande unter Umständen die finanziellen Mittel für einen Einsatz aufbringen kann.
Ferner hat auch Oak Racing seinen Pescarolo-Judd-Boliden aus dem LMP1-Zirkus entfernt, da die Eichen mit dem Judd-Motor haderten. Bis das neue Aggregat in dem Fahrzeug verpflanzt wird, investiert Oak alle Kapazitäten in das LMP2-Programm. „Wir haben entschieden, dass wir, bis wir einen neuen Motor im LMP1 haben, bis auf Weiters mit zwei Autos in der LMP2 antreten“, teilte Oak-Pilot Dominik Kraihamer SportsCar-Info mit.
Somit verbleiben lediglich die Honda-Delegationen Strakka Racing und JRM sowie die beiden Toyota-Kundenfahrzeuge von Rebellion Racing. Ergo wird dieses Quartett fortan die Meisterschaft um den LMP1-Titel unter sich ausmachen. Gegenwärtig führen die Rebellen die Wertung mit 87 Punkten an. Dahinter folgt JRM mit einem Rückstand von 24 Zählern, Strakka hält mit weiteren sechs Zählern Rückstand den Anschluss.
JRM will beim Heimspiel punkten
Überdies zeigt sich der im unweit entfernen Essex ansässige Rennstall JRM willens, seinen Heimvorteil in der Grafschaft Northamptonshire auszuspielen. Das JRM-Ensemble David Brabham, Karun Chandhok und Peter Dumbreck hat sich nach dem mühsamen Einstand minutiös auf die Sechs-Stunden-Hatz in Silverstone vorbereitet und testete ebenfalls eine neue Aerodynamik-Konfiguration in Aragon.
Trotz des verstolperten Saisonstarts in Sebring und Spa-Francorchamps erfocht die britische Mannschaft in Le Mans den sechsten Gesamtrang und Platz zwei unter den Privatiers. In Silverstone hegt die Truppe nun die Ambition, die eidgenössischen Kontrahenten einzuholen. „Wir haben einige Fortschritte hinsichtlich der Fahrzeugbalance gemacht und arbeiten weiterhin mit den Michelin-Reifen, wobei wir uns kontinuierlich verbessern“, konstatiert Brabham. „Unser Ziel ist es, das beste Resultat unter den Benzinfahrzeugen zu erzielen.“
Unterdessen entpuppten sich Neel Jani, Nicolas Prost und Nick Heidfeld als Schreckgespenst der Audi-Flotte und belegten an der Sarthe Position vier der Gesamtwertung. Damit sprengten die Rebellen unter Toyota-Flagge die Audianer-Phalanx und vereitelten einen Vierfachtriumph der Le-Mans-Seriensieger. Obgleich Jani und Prost auf der Insel der Motorsportabenteur auf die Unterstützung des ehemaligen Formel-1-Fahrers verzichten müssen, visiert das schweizerische Gespann einen Podiumsrang an. Selbiges gilt für Andrea Belicchi und Harold Primat.
Denn auch Rebellion Racing testete im Juli in Nordspanien, weshalb Team-Manager Bert Hayden die Tour nach Silverstone erwartungsfroh in Angriff nimmt: „Wir sind zuversichtlich in puncto der Leistung unserer Fahrzeuge, und unsere Intention wird es sein, das bestmöglich Ergebnis herauszuholen. Wir hatten einen stressigen Sommer, denn wir haben getestet und mussten die verbleibenden FIA-WEC-Läufe vorbereiten.“
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