Auf zu neuen Ufern: Die GT-WM in Orechová Potô?

55

Es gibt sie, die Vorurteile: keine Tradition, Retortenkurs, kaum Publikum, kuriose Lokalmatadore. Wenn Rennserien in heutiger Zeit auf neuen Strecken gastieren, dann überwiegt oft Skepsis. Doch nicht alles Neue ist schlecht, wie die GT-Weltmeisterschaft in der Slowakei zeigte.

Eigentlich hätte es das GT-Weltmeisterschaftswochenende auf dem Slovakia Ring in der Nähe von Bratislava gar nicht geben sollen: Erst durch eine kurzfristige Umstellung vor Saisonbeginn rutschte die Rennstrecke in den Kalender. 2008 war dort Baubeginn, 2009 die Einweihung und 2011 mit der GT3-Europameisterschaft die erste größere internationale Veranstaltung zu Gast. 2012 kam auch die Tourenwagenweltmeisterschaft. Tradition sieht anders aus, aber nur wenige Streckenbetreiber können auf zwei offizielle FIA-Weltmeisterschaften in einem Jahr zurückblicken.

Noch ein Retortenkurs?

Der Slovakia Ring ist mit 5,922 km, den sieben Geraden und elf Kurven für einen Streckenneubau ohne direkte Formel-1-Ambitionen vergleichsweise lang. Ein Blick auf den Verlauf lässt an ein Tri-Oval amerikanischer Prägung und ein entsprechendes Infield denken. WRT-Audi-Pilot Oliver Jarvis bescheinigte der Strecke jedoch Vielseitigkeit: „Es ist eine sehr interessante Strecke, sie hat von allem etwas. Einige sehr schnelle Kurven, einige technische und einige enge Schikanen.” Der Kurs ist flüssig zu fahren, ausreichend breit und verfügt über mehrere Ideallinien, wie Yelmer Buurman ergänzte: „Es ist kein einfacher Kurs, er ist durch schwierig zu fahren wegen der breiten, offenen Kurven mit verschiedenen Linien.“

Neben den schnellen Kurven gibt es Erhöhungen, unter denen die Zugangstunnel zur Strecke verläuft – so weit nichts Besonderes. Doch diese Erhebungen, besonders die Kuppe vor Kurve drei, können GT-Fahrzeuge mit der Vorderachse abheben lassen. Beim Gastspiel der GT3-EM im letzten Jahr entstanden so spektakuläre Foto- und Fernsehbilder wie man sie sonst nur auf der Quiddelbacher Höhe am Nürburgring erleben kann. Für die GT-Weltmeisterschaft wurde eine Schikane aus Reifanstapeln vor der Anhöhe aufgebaut. Was an die überhasteten „Sicherheitsmaßnahmen“ nach dem Grand Prix von Imola 1994 erinnerte, verhinderte jedoch Überholmanöver in der folgenden Kurve kaum. Über beide Rennen ermöglichte der Streckenverlauf unterhaltsame Positionskämpfe – trotz der mageren Anzahl von letztendlich nur 14 gestarteten Fahrzeugen.

Kaum Besucher an der Strecke?

Leere Tribünen: kaum etwas ist schädlicher für TV-Übertragungen. Sie visualisieren mangelndes Interesse der Zuschauer, keine Relevanz der Veranstaltung und schlechte Atmosphäre vor Ort . Das war allerdings in der Slowakei am Rennsonntag nicht der Fall. Gut gefüllte Tribünen und ein belebter Zuschauerhügel an der „Sprungkuppe“ vor Kurve drei wurden dementsprechend oft von den Übertragungskameras ins Visier genommen. Nach Angaben des Veranstalters waren über das Wochenende 20.000 Besucher vor Ort. Das entspricht 0,37 Prozent der Bevölkerung des Landes oder zirka fünf Prozent der Bewohner des 40 Kilometer entfernten Bratislava. Mit Präsident Ivan Gašparovi? war sogar das Staatsoberhaupt auf einer der Tribünen anwesend. Zum Indiendebüt der GT-Weltmeisterschaft auf dem Buddh International Circuit müssten 447.771.566 Besucher oder 550.392 Bewohner aus dem nahen Dehli als Besucher an der Strecke erscheinen, um einen entsprechenden Prozentsatz zu erreichen …

Kuriose Lokalmatadore?

Es gab nur einen Lokalmatador – eine Formulierung die Angesichts des Sponsorings durch den slowakischen Reifenhersteller Matador wie Schleichwerbung anmuten könnte. An Štefan Rosina als Rennfahrer ist nichts Kurioses – mal davon abgesehen, dass er durch seine Nationalität eine Rarität in den (west)europäischen Rennserien ist. Im ADAC GT Masters ist er dieses Jahr zusammen mit Albert von Turn und Taxis bei Reiter Engineering aktiv, darüber hinaus seit 2007 solide im Porsche-Supercup unterwegs. Das letzte Weltmeisterschaftswochenende war jedoch nicht sein erstes: Schon 2010 trat er in Brünn zusammen mit Marc Hennerici im Team Phoenix Racing/Carsport an. Er wurde im Hauptrennen zusammen mit dem deutschen GT-Allrounder nach einer gemeinsamen Fahrt vom 17 auf den achten Platz bester Corvette-Fahrer.

Doch bei den dort erfahrenen vier Punkten sollte es auch nach der Slowakeipremiere der GT-WM bleiben. In der Qualifikation schaffte es Darryl O’Young wegen eines abgefallenen Kotflügels nicht in das dritte Segment, nachdem Rosina zuvor Platz sechs im ersten Segment erreicht hatte. Im Qualifikationsrennen lag er auf Rang sieben – noch vor Tomáš Enge – bevor ihn ein defekter Reifen weniger als zehn Minuten vor Rennende zur Aufgabe zwang. Von Platz 13 im Hauptrennen gestartet, kam Rosina auf den sechsten Platz vor bis erneut ein Reifenschaden zu einem elften Gesamtplatz führte. Souveränere „Gastspiele“ in beim ersten Antritt im Heimatland hatten wohl nur Alexandre Negrão mit dem Sieg in Interlagos 2010 und José María López mit dem fünften Platz im argentinischen San Luis im gleichen Jahr.

Wer ist noch neu im Jahre 2012?

Die kommenden GT-WM-Premieren werden sich also nicht nur den Vergleich mit „Traditionsrennstrecken“ gefallen lassen müssen. Mit dem Rennwochenende in der Slowakei ist die Messlatte für ein gelungenes Debüt relativ hoch gelegt. In Russland und Indien wird sich zeigen, ob nur „Märkte bedient werden“ oder auch Interesse an der GT-Weltmeisterschaft jenseits von nationalem Prestigegewinn besteht. Der Moscow Raceway muss jedoch erst einmal zu Ende gebaut werden, bevor dort Rennsport stattfinden kann.

Eigentlich sollte dort schon im letzten Jahr die GT3-Europameisterschaft gastieren, doch die Strecke war weit von einer Fertigstellung entfernt. Dass auf dem Buddh International Circuit hingegen gute Rennen möglich sind, zeigte die Formel 1 2011. Die Frage ist vielmehr, wie viele Zuschauer diese (vor Ort) sehen wollen. Bis zum Saisonfinale im Dezember aber ist noch einige Zeit für Promotion. Ein weiterer Kandidat für ein Premierenrennen ist gar nicht mehr im Kalender: Das GT-WM-Gastspiel in Südkorea ist abgesagt worden. Auch diesen Vergleich hätte der Slovakia Ring wohl nicht scheuen müssen …