Sportwagen-WM: Tradition verpflichtet nicht mehr

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ACO und FIA ernten aufgrund ihrer Terminplanung bereits Kritik. Statt das Petit Le Mans mit auf die Agenda zu nehmen, macht die Sportwagen-Weltmeisterschaft zeitgleich Halt im arabischen Bahrain. Traditionsveranstaltungen müssen neuen Märkten weichen. Zahlt sich die Kompromissbereitschaft aus?

Der geneigte Liebhaber des Langstreckensports schwelgt bereits seit Wochen in Erinnerungen an die glorreichen Zeiten der Gruppe-C-Prototypen, welche bis in die frühen neunziger Jahre auf Welttournee gingen. Nicht minder nostalgisch sind die Erwartungen an ein Werksduell der zweiten Generation zwischen Toyota und Peugeot. Doch spätestens die Publikation des Kalenders erfordert eine differenziertere Betrachtung des ACO-FIA-Experimentes.

Obwohl die veröffentlichte Terminplanung keine großen Überraschungen bargen, lässt sich nichtsdestoweniger die Handschrift des Pariser Automobilklubs erkennen. Zudem wirft die Datierung einer Veranstaltung die Frage auf, inwieweit Politik statt Kooperation hinter dem Schulterschluss der beiden Rennsportverbände steckt. Nicht ausschließlich böse Zungen stellten bereits frühzeitig die These auf, die FIA verfolge vorwiegend das Ziel, den Status einer aufstrebenden Sportwagenszene in Zaum zu halten. Die Formel-1-Weltmeisterschaft solle Königsdisziplin bleiben.

Bahrain-Runde parallel zum Petit Le Mans

Der Entwurf des Kalenders stützt diese Aussage nun. Schärfster Kritikpunkt der Skeptiker: Die Terminierung des Wertungslaufes in Bahrain liegt parallel zum ALMS-Saisonhöhepunkt, dem Petit Le Mans. Kontrovers diskutiert wird nicht lediglich die Überschneidung beider Ereignisse, sondern auch die Wahl des Austragungsortes in dem Inselstaat und der Ausschluss des amerikanischen Klassikers an sich. Damit hat der ACO seine eigenen Zielsetzungen konterkariert.

Zum Mitschreiben: Die Terminkollision verhindert ein Engagement der WM-Akteure beim beliebten 1.000-Meilen-Rennen auf der Road Atlanta in Braselton, womit der ACO seinen Partner in den Vereinigten Staaten untergräbt. Stattdessen startet der WEC-Tross in Bahrain. Um seinen Anforderungen einer Weltmeisterschaft gerecht zu werden, vernachlässigt der ACO demnach Traditionen und entscheidet sich für Alternativen, die faktisch nur einen finanziellen Rückschluss zulassen.

Ergo fallen Motorsportnationen wie Deutschland und Italien gänzlich durch den Rost, aufblühende Glanzpunkte wie das Petit Le Mans werden für ein rigides WM-Konzept geopfert. Ebenso sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass der Große Preis von Bahrain heuer abgesagt werden musste, da die Region im Kontext des Arabischen Frühlings von Unruhen heimgesucht wurde. Aber: Der Gastauftritt in Bahrain überlagert sich mit keinem Formel-1-Rennen.

Neuer Markt in China, Heimspiel für Toyota

Diskussionsstoff liefert überdies der Wertungslauf in São Paulo. Zwar knüpfen die Verantwortlichen mit dem Sechs-Stunden-Rennen in Interlagos an die Tradition der Mil Milhas an, doch ein Rückblick auf den brasilianischen Gastauftritt der LMS-Meisterschaft 2007 zeigt eine dröge Statistik. Pro Südamerika spricht allerdings eine potente Basis im Sportwagensektor, welcher durch die SRO und ihr GT3-Konzept gefestigt wurde. Dennoch stellt dieser Trip jenseits des Atlantiks ein Wagnis dar.

Auf Nummer sicher geht der ACO wiederum bei den Stationen in Europa. Die Schlager in Spa-Francorchamps und Silverstone trafen bis dato sowohl bei den Protagonisten als auch den Zuschauern stets auf Resonanz. Erwartungsgemäß wurden die beiden Veranstaltungen in den Terminkalender aufgenommen. An dieser Stelle geht der Automobilklub des Westens keinerlei Risiken ein und bindet sich an Traditionen. Selbiges gilt für die Zwölf Stunden von Sebring.

Ebenfalls nachvollziehbar ist der Schritt auf asiatisches Terrain. Neben dem fragwürdigen Abstecher auf die arabische Halbinsel, verschlägt es die Sportwagengemeinde an den Fuße des Berges Fuji und nach China. Ausgewürfelt wird derzeit noch, ob Zhuhai oder Shanghai. Damit kommt der ACO einerseits Neueinsteiger Toyota entgegen, für den der Halt in Japan ein Heimspiel ist, andererseits profitieren auch die arrivierten Konstrukteure Audi und Peugeot. Beide Parteien betonten mehrfach die Wichtigkeit des asiatischen Absatzmarktes. Damit passt sich der Veranstalter an die aktuellen ökonomischen Entwicklungen an.

Der Terminkalender nimmt letztlich also die Gestalt eines zweischneidigen Schwertes an. Zwar setzen ACO und FIA auf Traditionsveranstaltungen wie das Zwölf-Stunden-Rennen in Sebring sowie die Langstreckenklassiker in den Ardennen und im „Home of British Motor Racing“, aber treffen beim Projekt „Weltmeisterschaft“ unpopuläre Entscheidungen wie das Gastspiel in Bahrain. In Japan und Südamerika werden alte Klassiker reanimiert, im Reich der Mitte neue Märkte erschlossen. Im Sinne des Fortschrittsgedanken des Traditionsrennen im Zentrum der Serie, den 24 Stunden von Le Mans, bleibt letztendlich nur eine Phrase: Jede Tradition hat irgendwann begonnen. Doch mancher Pilot wurde auch zur Eintagsfliege.