Hybridkonzepte: Vielfalt statt Einheit in der Langstrecken-WM

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Die Konstrukteure der Langstrecken-WM verfolgen alle ihre eigenen, differenten Ansätze bei der Konzeption ihrer Hybrid-Antriebseinheiten. Ein kleiner Einblick in den Dschungel der Motorenkonzepte des Herstellertrios Audi, Toyota und Porsche, wo sich durchaus einige Überraschungen ergeben.

Vielfalt statt Einheit: Getreu dieses Mottos gehen die Hersteller in der größten Prototypenklasse LMP1 im Rahmen der Langstrecken-Weltmeisterschaft an den Start. Der Fokus gilt, wie sollte es auch anders sein, natürlich dem Höhepunkt der Saison: den 24 Stunden von Le Mans. Beim Klassiker an der Sarthe gibt sich in diesem Jahr neben Audi und Toyota auch Porsche erstmals wieder seit 1998 die Ehre und stellt zwei Prototypen mit dem Namen „919 Hybrid“ in die Startaufstellung zur Hatz zweimal rund um die goldene Nobeluhr.

Doch mit der Rückkehr von Porsche zählt die Technikvielfalt in Le Mans ein weiteres, neues Antriebskonzept im Kampf um den Gesamtsieg. Die Diversität könnte nicht größer sein: Ob kleinvolumiger Otto-Turbomotor, Turbodiesel oder großvolumiger V8-Saugmotor – alles wird über die Hunaudières-Gerade hetzen. Doch welches dieser Konzepte sich als das stärkste, effizienteste, beste herausstellt, wird die Welt erst beim Zieleinlauf erfahren. Oder möglicherweise sogar erst in den nächsten Jahren.

Porsche 919 Hybrid

Beim Sportwagenbauer aus dem Stuttgarter Stadtteil Zuffenhausen mutmaßten Technikspezialisten lange, welches Verbrennungskonzept die neuen Prototypen antreibt. Entgegen der langjährigen Firmenphilosophie, die alle Straßen- und GT-Rennsportwagen mit einem hochdrehenden Sechs-Zylinder-Boxermotor ausstattet, werden die neuen LMP1-Renner von einem Vier-Zylinder-Turbomotor in V-Bauweise mit zwei Liter Hubraum angetrieben. 

Ähnlich wie seine Konkurrenz wird wohl auch Porsche auf den maximalen Einsatz der Hybrid-Energie von acht Megajoule vertrauen. Der Verbrennungsmotor soll über 500 PS leisten, was einer beachtlichen Literleistung von mehr als 250 PS pro Liter Hubraum entspräche. Damit ist Porsche in dieser Kategorie schon einmal Spitze, denn Toyota und Audi kommen bei Weitem nicht an diese Messlatte heran.

Sollte dies der Fall sein, stehen Porsche, genau wie Toyota, exakt 4,42 Liter Treibstoff für eine Runde in Le Mans zur Verfügung. Bei einem maximalen Tankvolumen von 64,4 Litern bei Ottomotoren können somit Porsche und Toyota in der Theorie, wie unsere Kollegen von „Motorsport-Total“ errechnet haben, beim Einsatz der geringsten Hybridstärke von nur zwei Megajoule 13,4 mal den Kurs in Frankreich umrunden, bevor der Tank leer gefahren ist. Das entspricht übrigens einem Durchschnittsverbrauch von 32,4 Litern Kraftstoff auf 100 Kilometer. 

Damit diese Leistung nicht ungenutzt in Form von dunklen Reifenspuren auf dem Asphalt verpufft, setzt Porsche, wie im Übrigen auch die anderen Hersteller, auf den Einsatz eines temporären Allradantriebs. Die gespeicherte elektrische Energie wird über einen Antrieb an die Vorderachse abgegeben, wohingegen der Verbrennungsmotor traditionell die Hinterachse befeuert. Nachdem in diesem Jahr auch die für einen Allradantrieb bisher eher hinderliche Regel abgeschafft wurde, dass die Zusatzenergie erst ab einer Geschwindigkeit von 120 Stundenkilometer abgegeben werden darf, wird es in diesem Jahr also für den Zeitraum, in dem die Zusatzpower ansteht, Allradantriebe bei allen großen LMP1-Fahrzeugen geben. Das bringt vor allem bei feuchten Streckenbedingungen enorme Traktionsvorteile.

Dass Porsche sich für einen Turbomotor entschieden hat, wundert Experten in Hinsicht auf das Effizienzreglement kaum. Mit einem aufgeladenen Triebwerk bleiben dem Entwickler wesentlich mehr Möglichkeiten und Stellschrauben, um den Motor der Aufgabe anzupassen. Spart der Fahrer beispielsweise durch eine Safety-Car-Phase Sprit, können die Ingenieure beispielsweise den Ladedruck erhöhen und den gesparten Kraftstoff über den Rest des Stints einfach in ein merkliches Plus an Leistung umsetzen. Saugmotoren haben diesen Spielraum tendenziell eher nach unten als nach oben. Hier sind Leistungszunahmen wenn überhaupt nur sehr gering zu erreichen.

Die elektrische Zusatzenergie gewinnt Porsche auf zweierlei Arten. Einerseits setzt man auf die Rückgewinnung von kinetischer Energie, das heißt Energie, die bei Bewegung entsteht und sonst ungenutzt verpuffen würde. Ähnlich funktioniert dies auch bei der zweiten Technologie, der thermischen Energierückgewinnung, bei dem Wärmeenergie, die zum Beispiel am Auspuff entsteht, rückgewonnen wird und als elektrische Energie gespeichert wird.

Als Porsche Ende des vergangenen Jahres den Prototyp erstmals mit dem V4-Turbo auf die Strecke geschickt hat, lief bei allerdings nicht alles reibungslos. Die Konzeption des Motors führte zu teils erheblichen Vibrationen, die über die Distanz zu Materialermüdungen und Brüchen geführt hätte. Daher mussten die Zuffenhausener nochmal umdenken und änderte den Antriebsstrang. Besonders unangenehm für Porsche war die teils enorm lange Lieferzeit von einzelnen Komponenten, die die Entwicklung ein wenig verzögerte. Mittlerweile sind die Vibrationsprobleme aber behoben und der Motor läuft ruhig.  

Aber ist er auch schnell? Bei Porsche traut sich niemand eine Einschätzung gegenüber der Konkurrenz abzugeben. Es sei schlicht und einfach nicht möglich, da noch nicht zur gleichen Zeit auf der gleichen Strecke gegeneinander getestet wurde. Porsche testete zwar vor einigen Wochen zusammen mit Konzernschwester Audi in Sebring, aber daraus wird wohl kaum jemand etwas lesen können.

Auch wenn Audis schnellste Rundenzeit mehr als drei Sekunden schneller als die Bestmarke von Porsche war, muss das noch nicht zwingend etwas für das Kräfteverhältnis bedeuten. Denn es bleibt abzuwarten, ob die Sportwagen-Abteilung in Weissach ihren Job gut gemacht hat, bis der 919 Hybrid beim Saisonauftakt der Langstrecken-WM in Silverstone erstmals im Renntempo gegen seine Kontrahenten antritt.

Audi R18 e-tron quattro

Dass sich die Mannschaft aus dem bayrischen Ingolstadt wieder für einen Diesel entscheiden würde, war schon lange vor der Präsentation der zweiten Generation des Audi R18 e-tron quattro klar. Hinter vorgehaltener Hand war das auch ein wichtiger Punkt, damit die Konzernmutter VW dem Projekt zustimmte, zwei Marken in einer Serie gegeneinander antreten zu lassen. Einer muss schließlich der Verlierer sein. Audi-Motorenchef Ulrich Baretzky hielt sich zunächst aber über Details des neuen Antriebs noch ziemlich bedeckt. 

Der Motor habe, wie bereits beim ersten R18, der seit 2011 eingesetzt wurde, ebenfalls sechs Zylinder und einen Turbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG). Das war es aber auch schon an Details. Über Hubraumgröße oder andere Einzelheiten konnte nur spekuliert werden. Nachdem Beretzky aber vor Jahren bereits sagte, dass 500 Kubikzentimeter pro Zylinder die perfekte Größe für einen Renndiesel sei, rechneten einige Experten also mit einem auf Effizienz getrimmten Dieselmotor mit einem Hubraum von drei Litern.

Doch heute ließ Audi die Katze aus dem Sack. Entgegen der Erwartungen besitzt das neue V6-Aggregat satte vier Liter Hubraum und somit sogar noch 300 Kubikzentimeter mehr als das Vorgängertriebwerk. Eine faustdicke Überraschung, da die Ingolstädter damit dem Trend zum Downsizing eindeutig trotzen. Audis Sportchef Doktor Wolfgang Ullrich sagte bei der Präsentation, dass der neue Motor annähernd an die Leistung des Vorgängers heranreiche, wenn er auch nicht ganz so viel Leistung produziere.

In Sachen Energierückgewinnung und Kraftübertragung gehen die Prototypen aus Ingolstadt ähnliche Wege wie die Zuffenhausener. Wie der Name bereits unschwer erkennen lässt, vertraut auch der neue R18 e-tron quattro auf den Einsatz eines Allradantriebs, der ähnlich funktioniert wie die Variante von Porsche. In Sachen Energierückgewinnung setzt Audi genau wie Porsche auf das Speichern der Energie durch kinetische und thermische Rückgewinnung und speichert die Energie in Schwungradspeichern.

Den Audianern steht auf eine Runde in Le Mans gesehen mengenmäßig sogar noch weniger Treibstoff zur Verfügung als der Konkurrenz. Das ist der Tatsache geschuldet, dass aus einem Liter Diesel mehr Energie zu holen ist als aus der gleichen Menge Ottokraftstoff. Folglich stehen für Audi auf eine Le-Mans-Runde gerechnet nur zwischen 3,93 und 3,65 Litern Diesel zur Verfügung. Die Menge richtet sich wie auch bei den Konkurrenten nach der Auswahl der Hybridtechnik zwischen zwei und acht Megajoule. 

Auch über die Wahl der Hybridleistung wurde lange spekuliert. Auch hier war die Gros der Meinung, dass sich die Ingolstädter für acht Megajoule entscheiden würden. Doch auch hier irrten die Experten. Audi entschied sich wider Erwarten für die geringste Hybridleistung von zwei Megajoule. Daraus resultierend darf Audi 3,93 Liter Diesel pro Runde in Le Mans verbrauchen. Das entspräche einem Durchschnittsverbrauch von nur 28,8 Litern Kraftstoff auf hundert Kilometern. 

Zum Vergleich: Der 5,5-Liter-Zehn-Zylinder-Diesel mit dem Audi von 2006 bis 2010 angetreten ist, verbrauchte weit über fünfzig Liter auf hundert Kilometer respektive mehr als das Doppelte. Audi erhält ein maximales Tankvolumen von 53,3 Litern. Das wiederum soll bei der kleinsten Hybridleistung für 13,5 Runden auf dem Traditionskurs an der Sarthe reichen. André Lottere lies bereits durchblicken, dass das neue Triebwerk um einiges sparsamer sei als der Vorgänger. Der Vierliter-V6 benötige zirca dreißig Prozent weniger Treibstoff als es der 3,7-Liter-V6 noch tat.

Der Platzhirsch wird auch in diesem Jahr wieder alles daran setzen, seine Position zu verteidigen. Für Audi verliefen die Tests bisher sehr positiv. Der R18 e-tron quattro war auf Anhieb zuverlässig und schnell. Und laut Pilot Marcel Fässler macht das umfangreich beworbene Laserlicht am neuen R18 die Fahrt in der Nacht noch einmal um einiges angenehmer, was möglicherweise ein bedeutender Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz darstellen könnte.

Toyota TS040

Die große Unbekannte im Kampf um den Gesamtsieg ist der japanische Hersteller Toyota. Nachdem die in Köln ansässige Motorsportabteilung bereits in den vergangenen zwei Jahren mit dem Vorgängermodell TS030 in Le Mans angetreten ist, soll in diesem Jahr der Gesamtsieg her, nachdem es bei beiden Antritten für Toyota nicht unbedingt perfekt lief. Auf großes Unverständnis stießen die Japaner allerdings schon früh, nachdem sie die Entscheidung über ihr Motorenkonzept für das Jahr 2014 bekannt gaben. 

Der nun TS040 genannte Bolide soll, wie seine Vorgänger, von einem V8-Saugbenziner mit 3,4 Litern Hubraum angetrieben werden. Das Triebwerk werde zwar grundlegend in Hinsicht auf Effizienz überarbeitet, das Grundkonzept bleibe aber bestehen. Dadurch drängte sich folgende Frage auf: Wieso bleibt Toyota beim großvolumigen Saugmotor? In Zeiten der Effizienz durch Downsizing scheint es ein Paradoxon, dieses Konzept zu wählen, dass scheinbar nach dem Image „Spritschlucker“ schreit. 

Aber auch Toyota habe sich mit dem Gedanken um einen Turbomotor befasst. Aus Sicht der Ingenieure überwiegen aber die Vorteile zugunsten des Saugmotors und das bewegte Toyota zu seiner Entscheidung. Die Spritverfügbarkeiten sind die gleichen wie bei Porsche. Es wird spannend zu sehen, ob es der Mannschaft von Toyota gelingt, bei gleicher Leistung ähnlich effizient unterwegs zu sein. Auch die Japaner ließen verlauten, dass sie für den TS040 einen Allradantrieb entwickeln

Weiter Informationen, wie beispielsweise über die Funktionsweise der Energierückgewinnung, sind vom Konzept des TS040 aber noch nicht bekannt. Außer einer Hörprobe des Autos und ein paar unscharfen Aufnahmen von Streckentests gibt es noch keine Quellen des neuen LMP1-Fahrzeugs der Japaner. Das Auto soll erst unmittelbar vor dem ersten Einsatz der Öffentlichkeit präsentiert werden. Dieser Termin ist aber vermutlich nicht unbedingt absichtlich gesetzt worden, denn wie verschiedene Quellen bereits berichteten, hinkt Toyota ein wenig hinter dem Zeitplan her.

Ein erstes echtes Kräftemessen zeigt möglicherweise der erste offizielle Test der Langstrecken-WM an diesem Wochenende im französischen Le Castellet, bei dem insgesamt 27 Fahrzeuge gemeldet sind. Alle drei Favoriten auf den Gesamtsieg beim Langstreckenklassiker im Juni werden mit jeweils zwei Fahrzeugen den Test absolvieren.