Le-Mans-Drama: Der letzte Audianer hält stand

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Tortur zum zehnten Le-Mans-Triumph: Trotz zahlreicher Strapazen und Horroszenen am Samstag und in der Nacht behielt Audi gegenüber Peugeot die Oberhand. In zahlenmäßiger Unterlegenheit siegten die Herren der Ringe André Lotterer, Benoit Téluyer und Marcel Fässler im Löwengehege.

Der Pokal bleibt in Ingolstadt. Audi hat die französische Krone des Motorsports verteidigt und den zehnten Triumph bei den 24 Stunden von Le Mans errungen. Als Audi-Speerspitze André Lotterer am Sonntag den Zielstrich kreuzte, trennten den letzten Audianer der bayrischen Flotte und den ärgsten Peugeot-Verfolger Simon Pagenaud kaum mehr als zehn Sekunden. Tränen im französischen Lager bei Sportdirektor Olivier Quesnel, vertraute kalte Miene bei Audi-Boss Doktor Wolfgang Ullrich.

Selten lagen Erfolg und Niederlage derart dich beieinander wie bei der 79. Auflage des Sarthe-Schlagers. Selten fiel das Resümee im siegreichen Audi-Lager derart ambivalent aus wie in diesem Jahr. Denn die Herren der Ringe starteten am Samstagnachmittag in gänzlich anderem Stil in den längsten Tag des Jahres als in der Vergangenheit und suchten bereits im Pulverdampf des Startschusses mit einer offensiven Herangehensweise ihr Heil in der Flucht.

Schon nach sechs Umläufen hatte das Audi-Triumvirat das Kommando an der Klassementspitze übernommen und belegte die Ränge eins bis drei. Allerdings wurde die Löwenhatz abrupt unterbrochen, da die Ringträger anfingen, sich auf die eigenen Füße zu treten. Auf diese Weise zeichnete sich für den deutschen Konstrukteur bereits zum Anbruch der zweiten Rennstunde der Ultra-GAU ab, als Le-Mans-Altmeister Allan McNish, zu einem waghalsigen Manöver unter der Dunlop-Brücke ansetzte.

Audi zwischen Höhenflug und Trauma

An dritter Stelle liegend, wollte der schottische Haudegen, an seinem Stallgefährten Timo Bernhard vorbei schlüpfen. Im Laufe des Überholvorgangs realisierte McNish jedoch, die Situation eklatant fehl eingeschätzt zu haben. Zwar glückte es dem Audi-Schützling seinen Kollegen hinter sich zu lassen, aber konnte nicht einscheren, da ein zu überrundender Ferrari-Brummer, den Weg versperrte. Deshalb war McNish gezwungen, auch den GT-Renner zu schnupfen, wobei sich der Routinier jedoch um einige Pariser Füße verkalkulierte.

Der Audi-Selbstzünder schrammte deshalb den Ferrari-Boliden und segelte unkontrolliert über das höckrige Kiesbeet auf die Reifenstapel zu. Beim Aufprall schlug das zerstörte Monocoque mehrere Salti, bis das Wrack kopfüber vor der Barriere zum Stillstand kam. McNish, der letztendlich nur noch Passagier in seinem Arbeitsgerät war, stieg wie durch ein Wunder unverletzt aus dem Trümmerhaufen aus. Selbst die Fotografen hinter der Barriere entkamen dem Karbonregen weitgehend unverletzt – einzig fünf Betroffene trugen leichte Verletzungen davon.

Zur Folge hatte der Horrorcrash eine knapp einstündige Gelbphase hinter den drei Sicherheitsfahrzeugen, um die Barriere zu reparieren. Im selben Atemzug hatten die Akteure Gelegenheit, für einige Augenblicke zu verschnaufen. Dabei bahnte sich für Audi die schlaflose Albtraumnacht erst an. Denn für die Herren der Ringe hatte noch vor Mitternacht die Geisterstunde geschlagen, als Mike Rockenfeller im Bereich Mulsanne mit einem GT-Fahrzeug kollidierte – bizarrerweise neuerlich mit einem italienischem Pferd – und frontal in die Leitplanken einschlug.

Peugeot in fremder Defensivhaltung

Damit waren André Lotterer, Benoît Tréluyer und Marcel Fässler die letzten Hoffnungsträger im Audi-Lager. Obwohl das von der Poleposition gestartete Dreigestirn bis dato bereits etliche Führungskilometer gesammelt hatte, stand den Audi-Jungspunden jedoch keine Spazierfahrt über die Landstraßen durch das Département Sarthe bevor. Denn es spitzten sich am Vormittag nach diversen Safety-Car-Phasen erneute Stoßstangenduelle zu.

Nach wiederholten Schlagabtausch zwischen den drei verbliebenen Audi-Kutschern und Peugeots Grande Armée, glückte Lotterer, Marcel Fässler und Benoît Tréluyer schlussendlich aber die Flucht aus der Höhle des Löwen. Audi triumphierte zum zehnten Mal in Le Mans. Obendrein verbuchten die Ringträger den viertknappsten Zieleinlauf in der Geschichte des Langstreckenklassikers an der Sarthe – die Löwen wurden, nachdem die Zeit auf dem berühmten Rolex-Chronometer abgelaufen war, hauchdünn geschlagen.

Überdies schlüpften die Löwen heuer in eine vertauschte Rolle. Erstmals entpuppten sich die französischen Dieselflundern nämlich nicht als die Spielmacher, welche am Gipfel des Klassements das Tempo bestimmten, sondern bereit in der Startphase von Audi in die Defensive gedrängt wurden. Darüber hinaus zeichneten sich die Peugeot-Selbstzünder durch Beständigkeit aus und brachten sämtliche Einsatzfahrzeuge unversehrt ins Ziel – im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als keiner der Renner im Parc-Fermé zu finden war.

Peugeot spart Sprit, Audi schont Reifen

Offensichtlich schickte sich der französische Hersteller an, die Ingolstädter mit ihren eigenen Waffen zu schlagen: Ausdauer, Strategie und Konstanz. Essentielle Elemente, welche sich bei einem Langstreckenrennen in der Regel als zielführend offenbaren. Auf diesem Wege schluckten die Wildkatzen deutlich weniger Sprit, weshalb es Peugeot schaffte, im Schnitt pro Stint zwei Runden länger auf der Strecke zu verweilen.

Allerdings wusste Audi die passende Antwort und wechselte lediglich jeden vierten Boxenstopp die Reifen, während Peugeot im Dreierrhythmus neue Gummis aufziehen musste. Im Umkehrschluss schlug sich das auf dem Papier wie folgt nieder: Obwohl Audi einmal mehr zum Service an die Box rollte, ließen sich die Franzosen eine längere Standzeit zu Schulden kommen, die letztlich kriegsentscheidend war. Somit konnte Audi den höheren Benzinverbrauch kompensieren.

Demnach warf Audi zunächst das strategische Kalkül der Löwen über den Haufen, doch zu allem Übel behielt bloß eine der Peugeot-Mannschaften ihre weiße Weste. Bei Franck Montagny, Stéphane Sarrazin und Nicolas Minassian schlug bereits in der Anfangsphase der Defektteufel zu, weshalb die Truppe aufgrund von Problemen mit der Bremsbalance ins Mittelfeld degradiert wurde und mehr oder weniger als Ass im Ärmel fungierte.

Aber das Gespann sollte wieder nach vorne gespült werden, als Alexander Wurz sich am Sonntag beim Ansteuern der Indianapolis-Kurve verbremste und mit der Reifenbarriere auf Tuchfühlung ging. Anschließend humpelte der Österreicher gen rettende Box, um die nötigen Reparaturen über sich ergehen zu lassen, welche wertvolle zehn Minuten in Anspruch nahmen. Damit waren die internen Platzierungen im Hause Peugeot ausgewürfelt.

Die Silbermedaille ging an Pagenaud und seine Kumpanen Sébastien Bourdais und Pedro Lamy, während Montagny, Sarrazin und Minassian trotz Beschwerden am Vortag mit dem Bronzepokal im Gepäck abreisten. Lediglich Wurz, Marc Gené und Anthony Davidson ging nach dem Patzer in der finalen Phase leer aus. Das Oreca-Kundenteam rundete das Resultat für den französischen Konstrukteur ab: Nicolas Lapierre, Loïc Duval und Oliver Panis erzielten Position fünf in der Gesamtwertung, obwohl auch in der Garage von Hugh de Chaunac die eine oder andere Reparaturpause eingelegt werden musste.

Rebellion-Toyota krönt sich zum Benzinkönig

Das Rennen im Rennen veranstalten einmal mehr die Privatiers im Benzinlager. Im Lager der konservativen Antriebe waren die Rollen klar verteilt, die haushohen Favoriten waren Rebellion-Toyota und Pescarolo. Allerdings proklamierten die Rebellen bereits vor dem Start, auf der endlosen Hunaudières-Geraden wichtige Sekunden liegen zu lassen, da die Toyota-Aggregate dem Judd-Motor in puncto Höchstgeschwindigkeit unterlegen seien.

Im Getümmel der Startphase lautete die Strategie der Schweizer Rebellion demnach, sich auf den Geraden breit zu machen und in den Schikanen zu attackieren. Allerdings sollten diese strategischen Konzepte am Sonntag Makulatur sein, denn bei einem Ausdauerrennen spielt bekanntliche ein Aspekt eine zentrale Rolle: Beständigkeit. Und überraschenderweise waren es die Rebellen Neel Jani, Nicolas Prost und Jeroen Bleekemolen, welche nach 24 Stunden mit dieser Eigenschaft brillierten und als Gesamtsechster erfolgreichstes Benzingespann waren.

Henri Pescarolos Schützlinge Christophe Tinseau, Julien Jousse und Emmanuel Collard stellten sich dagegen selbst ein Bein, als Letztgenannter zwei Stunden vor Schluss den Prototypen in die Streckenbegrenzung der Porsche-Kurve versenkte. Damit vertändelte der Lokalmatador eine Platzierung in den Topfünf. Am selbigen Schauplatz strandete auch Rebellion-Akteur Jean-Christophe Boullion, der den zweiten Toyota-Renner einsatzunfähig machte.

Aston Martin auf dem Boden der Tatsachen

Bereits im Laufe der Qualifikation lamentierten Ingenieure aus Aston-Martin-Kreisen, dem AMR-One könne auf den Geraden, der Konkurrenz nicht das Wasser reichen. Der desolate Auftritt im Zeittraining mündete schließlich in einer Katastrophe im Rennen. Der britische Konstrukteur blamierte sich bis auf die Knochen. Ein defekter Keilriemen an beiden Inselsportlern veranlasste die Equipe, noch vor der Beendigung der fünften Runde das Handtuch zu werfen.

Einziges Trostpflaster: Kronos Racing mit dem Lola-Aston-Martin-Jahreswagen. Vanina Ickx, Maxime Martin und Bas Leinders erreichten das Ziel auf dem siebenten Rang und retteten damit die Ehre der Briten. Als vierter Ausfall in der LMP1-Division wurden LMS-Stammfahrer Miguel Amaral, Olivier Pla und Warren Hughes vermeldet (Quifel-ASM-Zytek), die mit einem Motorschaden zur Aufgabe gezwungen wurden.

Des Weiteren sahen die beiden Besatzungen von Oak Racing das schwarz-weiß karierte Tuch nicht. Für Richard Hein, Jacques Nicolet und Jean-François Yvon war das Rennen nach rund einem Drittel der Distanz beendet, während Tiago Monteiro, Guillaume Moreau und Pierre Ragues schon wenige Umläufe zuvor die Segel streichen mussten. Wacker geschlagen hat sich wiederum das Hybrid-Auto von Hope Polevision Racing. Der Oreca 03-Swiss-HyTech drehte in den Händen von Steve Zacchia, Jan Lammers und Casper Elgaard immerhin 115 Runden, bis das Elektroauto in Flammen aufging.

LMP2: Erster Zytek-Triumph der Geschichte

Bei den kleinen Prototypen räumten Karim Ojjeh, Olivier Lombard und Tom Kimber-Smith die Siegestrophäe ab. Mit ihrer Kombination aus Zytek-Karosserie und Nissan-Motor rangierte das Trio an achter Stelle im Gesamtklassement und strich den ersten Le-Mans-Triumph für besagten Chassis-Lieferanten ein.

In den beiden GT-Wertung reüssierte Corvette auf ganzer Linie. Während unter den Profis die Werkspiloten Oliver Beretta, Tommy Milner und Antonio Garcia in der Podiumsmitte jubelten, vollzogen Patrick Bornhauser, Julien Canal und Gabriele Gardel im Larbre-Kundenrenner einen wahrhaftigen Siegeszug in der Amateurliga.